Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Stadt liegt, bevor er sich zum Gebet verneigt. Ich selbst kann nicht mehr tun, als mich von dem Eimer mit Unrat abzuwenden und das Beste zu hoffen.
Eines Morgens fahre ich mit der Hand über mein Kinn und entdecke dort Stoppeln. Kann es sein, dass mich der Aufenthalt in der Zelle wieder in einen Mann verwandelt? Ich gestatte mir ein freudloses Grinsen und vergrabe dann den Kopf in den Händen. Gott macht auch gern mal einen Witz.
Plötzlich öffnet sich das Sichtfenster, und eine Stimme ruft: »Nus-Nus? Wer von euch ist der Höfling namens Nus-Nus?«
Ein paar Stimmen kichern, verstummen jedoch, als ich aufstehe. »Das bin ich.«
Der Wächter öffnet die Tür und winkt mich heraus. »Und versuch gar nicht erst irgendwelchen Unsinn, sonst hacke ich dir das Bein ab.«
In einem Nebenraum sitzt eine ganz in Schwarz gehüllte Frau und trinkt Tee. Ich weiß sofort, wer sie ist, trotz des Schleiers; ich erkenne sie an ihrem runden Handgelenk und der Farbe ihrer Haut, obgleich sie nicht ihren üblichen Schmuck trägt. Ich bin wachsam genug, um mir nichts anmerken zu lassen. Der Wächter zeigt keinerlei Neugier und schließt die Tür hinter sich. Ich frage mich, wie oft Frauen zu einem letzten ehelichen Besuch an diesen übel riechenden Ort kommen, und schaudere.
»Hier bist du also, Nus-Nus«, sagt sie auf Lobi.
»Sieht so aus«, antworte ich auf Senufo.
»Niemand hat sich bis gestern die Mühe gemacht, es mir zu erzählen. Ich hielt dich für krank.«
Das glaube ich ihr nicht. Zidana hat ihre Spitzel überall. »Warum bist du hier?« Sie geht ein Risiko ein, und ich bezweifle, dass es um meinetwillen ist. Wenn Ismail herausbekommt, dass sie seine Befehle missachtet und die Palastmauern verlassen hat, wird nichts sie retten können, nicht einmal die Tatsache, dass sie seine Hauptfrau ist. Ich habe gesehen, wie er eine seiner sogenannten Lieblingsfrauen eigenhändig erwürgt hat, nachdem sie das abscheuliche Verbrechen begangen hatte, eine Orange vom Boden aufzuheben und sie zu essen. »Wir sind keine Bettler, die sich derart aufführen!«, tobte er, während er ihr den letzten Lebenshauch ausquetschte. »Hast du keine Würde? Wenn du deinen Sultan mit einem solchen Verhalten beschämen kannst, wozu wärst du dann sonst noch fähig?« In der folgenden Nacht hatte er Alpträume, rief im Schlaf immer wieder ihren Namen – Aisha, Aisha –, und am nächsten Morgen war sein Kopfkissen feucht.
»Ich musste dich unbedingt nach der Liste fragen«, sagt Zidana nur. »Haben sie davon gesprochen? Verwenden sie sie als Beweismittel?«
Ich seufze. »Niemand hat sie erwähnt.«
»Gut. Nun, das ist immerhin etwas.« Sie nippt an ihrem Tee, und wir sitzen schweigend da.
»Wie geht es dem Sultan?«, frage ich nach einer Weile.
»Ismail ist Ismail, aber noch schlechter gelaunt als üblich. Gestern Abend hat er Zina weggeschickt, ohne sie auch nur anzurühren. So etwas ist noch nie vorgekommen.«
»Hat er nicht nach mir gefragt?«
» Mir gegenüber hat er dich nie erwähnt.«
»Aber wer führt jetzt das Diwanbuch für ihn? Wer kostet sein Essen vor?«
»Quäl dich doch nicht so«, sagt sie und erhebt sich, um zu gehen.
»Wird sich denn niemand für mich einsetzen? Du weißt, dass ich unschuldig bin.«
»Seit wann kann Unschuld jemanden retten? Wissen ist viel nützlicher.«
»Das stimmt. Jedenfalls kann ich nur hoffen, dass man mich nicht foltert«, erwidere ich plötzlich mit dem Mut der Verzweiflung. »Wer weiß, was ich sagen könnte, wenn man mich fragt, warum ich Sidi Kabour aufgesucht habe.«
Da lacht sie. »Oh, zeig ein wenig Stärke, Nus-Nus, ein bisschen vom Geist der Senufo.«
Dann klopft sie an die Tür, und der Wächter entlässt sie ins Licht und führt mich ins Dunkel zurück. Ich bin so in meinen Gedanken versunken, dass ich esse wie ein Tier, ohne mir dessen bewusst zu sein. Ich habe vergessen, dass das Gerstenbrot manchmal Steine enthält, breche mir beim herzhaften Hineinbeißen ein Stück morschen Zahn ab und habe nun eine neue Sorge, über die ich mir den Kopf zerbrechen kann.
Am nächsten Tag kommt der Wächter wieder. »Plötzlich scheinst du ja sehr gefragt zu sein«, meint er anzüglich. Als er mir einen Eimer kaltes Wasser, eine Hand voll Olivenpaste als Seife und einen zusammengeknoteten Lumpen bringt, um mich draußen zu waschen, weiß ich, dass etwas im Gange ist. Ich wende mich ab, in dem Versuch, einen gewissen Grad an Anstand zu wahren, doch er lacht nur. »Ich habe hier drin schon so viel
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