Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Gewissen zu beruhigen. Aber die Schuld holt ihn ein. Man sagt, er habe hin und wieder Alpträume nach solchen Anfällen. Ist das wahr?«
Ja, aber ich gebe keine Antwort.
»Macht nichts. Mein Neffe Samir Rafik kümmert sich jetzt um ihn.«
Und mit diesem Dolchstoß in mein Herz verlässt er den Raum. Als der Wächter kommt, um mich in die Zelle zurückzubringen, zwinkert er mir zu, und ich fühle mich bis ins Mark hinein beschmutzt, obwohl ich mich keine halbe Stunde zuvor gründlich gewaschen habe.
Am frühen Nachmittag des nächsten Tages ruft der Wächter mich erneut auf. Was ist jetzt wieder? Der Großwesir muss mich für schwachsinnig oder feige halten, wenn er glaubt, dass ich mich nach einer einzigen Nacht des Nachdenkens seinem Willen beuge.
»Aller guten Dinge sind drei, heißt es«, sagt der Wächter geheimnisvoll, schließt die Tür zu dem Nebenzimmer auf und schiebt mich hinein.
Ich starre Kaid Mohammed ben Hadou Ottur an, und er erwidert meinen Blick ein wenig belustigt. »Hast du jemand anderen erwartet?«
»Ihr seid mein dritter Besucher in ebenso vielen Tagen, Sidi!«
Er stößt ein trockenes Lachen aus. »Zidana und Abdelaziz, nehme ich an?« Er hat einen Ruf als scharfsinniger Mann, und ich habe den Verdacht, dass er eine ganze Reihe von Spitzeln für sich arbeiten lässt. »Zieh dich aus.«
Bislang wusste ich nicht, dass er Sodomit ist, aber kluge Menschen in Ismails Palast lernen ihre Laster zu verstecken. Doch als ich anfange, mich auszuziehen, wirft er mir ein Bündel mit Kleidern zu, statt mich offen anzustarren: eine Baumwollhose und eine einfache Djellaba aus Wolle. »Setz die Kapuze auf«, sagt er. »Ich erkläre es dir unterwegs.«
Unterwegs?
Zwei Minuten später sind wir draußen. Ich lege den Kopf zurück, blinzele in das ockergelbe Licht und bin mit einem Mal überwältigt vom Blau des Himmels und vom leuchtenden Grün der neuen Feigenblätter in einem nahe gelegenen Hof. Als ich den Baum das letzte Mal sah, waren die Blätter noch Knospen, und ihre seidige Unterseite war von der silbergrauen Rinde kaum zu unterscheiden.
»Was ist passiert?«, frage ich und laufe ein paar Schritte, um meinen Befreier einzuholen, der auf die Medina zueilt.
»Wir brauchen dich. Der Sultan und ich.«
Mein Herz macht einen Sprung. Man hat mich also doch nicht vergessen. »Ich werde Euch ewig dankbar sein, dass Ihr mich wieder in den Dienst meines Herrn stellt …«
»Bedank dich nicht zu früh, Nus-Nus. Der Grund für deine Befreiung wird dir nicht gefallen. Du musst eine Aufgabe erledigen, die, nun, sagen wir … unangenehm ist.«
Ich kann mir nicht vorstellen, welche Aufgabe so schlimm sein könnte. Wir kommen an einer Gruppe Frauen vorbei, die am Stand eines Händlers Litzen und Perlen vergleichen. Ihre Augen über dem Schleier mustern uns aufmerksam, mit flatternden Wimpern.
»Und was ist … mit Sidi Kabour?«
Al-Attar legt den Finger auf den Mund. »Wenn dir diese Aufgabe gelingt, wird Sidi Kabour nie existiert haben.«
Ich runzele die Stirn. »Aber … aber seine Familie …«
»Alle werden bezahlt, wenn es nötig sein sollte. Berichte werden verbrannt. Gewöhn dir ein bisschen Diskretion an, Nus-Nus. Wenn ich dir sage, dass es Abend ist, obwohl die Sonne scheint, dann kleide dich in dein Abendgewand und zünde eine Kerze an. Tu, wie dir geheißen, und niemand wird je wieder ein Wort darüber verlieren.« Er sagt noch mehr, und ich glaube, den Namen des Großwesirs zu hören, doch mittlerweile sind wir im Viertel der Metallarbeiter, wo Männer in der Sonne sitzen und Schüsseln und Couscoustöpfe aus Kupfer hämmern, so groß, dass sie für die Küche des Palastes bestimmt sein müssen, und der Lärm der Hämmer übertönt seine Worte.
Wenig später treten wir aus dem Labyrinth der Gassen auf den Sahat al-Hedim – den »Platz der Trümmer«, denn der gesamte Bauschutt wurde außerhalb der Palastmauern abgeladen. Als mein Herr Ismail beschloss, Meknès zu seiner Hauptstadt zu machen – und nicht das nahe gelegene Fès, das abgesehen davon, dass es eng, feucht und übel riechend ist, auch noch jede Menge Abweichler, marabouts und Koranschüler beherbergt, die nur allzu begierig darauf sind, eine unerbetene Meinung zu äußern, oder Marrakesch, das unter der Herrschaft seines rebellischen Bruders steht und schon immer für seine Unzuverlässigkeit berühmt war –, schickte er als Erstes tausende von Sklaven los, um die Altstadt dem Erdboden gleichzumachen und Platz für seine neue
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