Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Titel: Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson
Vom Netzwerk:
Anlage zu schaffen. Das ist jetzt fünf Jahre her. Zwar nähert sich die erste Bauphase allmählich dem Ende, doch herrscht hier nach wie vor ein einziges Chaos. Er ist ein großer Mann, unser Moulay Ismail, Herrscher von Marokko, Vater des Volkes, Emir der Gläubigen, Vertreter Gottes. Ja, ein großer Mann, aber kein Architekt.
    Eine Karawane von Mauleseln wird auf einer Seite des Platzes entladen und mit Futter und Wasser versorgt. Händler sitzen um sie herum und feilschen mit ihren Kerbhölzern und Gewichten. Eine Schwalbe schießt dicht über ihre Köpfe hinweg, auf der Suche nach Fliegen, während die Kisten mit Gütern geöffnet werden. Ich sehe den roten Fleck an ihrer Kehle aufblitzen, dunkel wie altes Blut, den gegabelten Schwanz, und dann ist sie verschwunden.
    Die Wachen am Tor habe ich noch nie gesehen, aber sie treten schnell beiseite, als sie den Mann neben mir erkennen, und es fällt mir auf, wie sehr sich die Welt verändert hat, seit ich eingekerkert wurde. Während wir eilig durch die mit Marmor ausgelegten Gänge gehen, nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und frage nach meinem Zimmer. »Im Gefängnis musste ich oft an seine Stille und Bequemlichkeit denken. Ich weiß, es ist eine Kleinigkeit, außerhalb Eurer Kenntnis, Sidi …« Ich verstumme, hoffnungslos.
    »Du kannst in deine alte Unterkunft zurück, Nus-Nus. Die Einrichtung wurde so gut wie möglich wiederhergestellt. Falls ich etwas übersehen habe, verzeih mir. Sollte etwas fehlen, so lass es mich wissen, und ich werde mein Bestes tun, um es dir zu ersetzen.«
    So viel Freundlichkeit hätte ich nicht erwartet. Dankbarkeit wärmt mein Herz, doch dann fällt mir die unangenehme Aufgabe wieder ein. »Was soll ich also für Euch tun?«
    Er wirft mir einen verschleierten, rätselhaften Blick zu. »Man hat mir gesagt, dass du dich sehr gut mit dieser heidnischen Sprache auskennst«, sagt er in perfektem Englisch.
    Ich kann meine Überraschung nicht verbergen. »Ein früherer Herr hat mich in vielen Dingen unterwiesen. So habe ich gelernt, passabel Englisch zu sprechen.« Ich zögere. »Aber wie kommt es, dass Ihr es so gut beherrscht, Sidi?«
    »Englisch war die Muttersprache meiner Mutter«, antwortet er knapp und wendet den Blick ab.
    Das also ist der Grund für seine auffallend hellen Augen. Jetzt erinnere ich mich wieder an gewisse Gerüchte, denen zufolge seine Mutter eine europäische Sklavin war. Ich hatte sie für böswillige Verleumdung gehalten. Wenn sie wahr sind, muss er sich sehr angestrengt haben, um sich Ismails Gunst zu sichern.
    »Möchtet Ihr, dass ich Euch etwas aus dem Englischen übersetze?«
    »So könnte man es ausdrücken.«
    Als wir uns den Toren des Harems nähern, bleibt er stehen. »Du kannst die Kapuze jetzt abnehmen. Melde dich bei den Wachen. Sie wissen, was zu tun ist.«
    Seltsam. Ich sehe ihm nach, als er davongeht, und frage mich, welches sprachliche Problem dermaßen wichtig ist, dass er mich deswegen aus dem Kerker befreit hat und den Zorn des Großwesirs riskiert. Die Wachen am Tor lassen mich durch; ein Junge nimmt mich an der Hand und führt mich an Zidanas Pavillon vorbei zu einem Gebäude, das ich noch nie betreten – oder auch nur gesehen – habe. »Warte hier«, sagt er und läuft hinein.
    Ich lehne mich an die von der Sonne gewärmte Mauer und schließe die Augen. Irgendwo stößt ein Pfau seinen melancholischen Schrei aus, doch ich habe nur einen Gedanken: Ich bin frei! Jede Nacht lag ich wach inmitten des Gestanks und des Stimmengewirrs in meiner schmutzigen Zelle und stellte mir vor, wie der kalte, eiserne Nagel in meine Schädeldecke eindringt, und jetzt stehe ich hier, mit der Sonne im Gesicht, unter meinen Lidern ein leuchtendes Rot, und atme den Duft von Neroli und Moschus ein.
    Meine Nase zuckt. Ich kenne diesen Duft … Als ich die Augen aufschlage, stören die Nachbilder der Sonne meine Sicht. Ich blinzele, und dann sehe ich Zidana auf mich zukommen. Ein schwarzes Sklavenmädchen rennt keuchend neben ihr her und fächelt ihr mit einem Fächer aus Straußenfedern heftig Luft zu. Ich muss laut niesen, weil sie mir Staub in die Nase gewirbelt hat.
    »Na hör mal, Nus-Nus, begrüßt man so seine Herrin? Auf den Boden, wie es einem Hund wie dir geziemt!«
    Ich werfe mich zu Boden, da dies offenbar erwartet wird. Warum so formell? Zidana besteht bei mir normalerweise nicht auf solchen Zeremonien.
    Vor mir hockt eine Katze: ein schmales, blaugraues Ding mit schrägen, bernsteinfarbenen Augen. Sie

Weitere Kostenlose Bücher