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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
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fand das Hotel unter jeder Sau, der am Telefon zur Rechenschaft gezogene Manager beteuerte, es gäbe, das müsse sie doch von den Tourneen her wissen, nichts Besseres in dieser Stadt.
    Sie musste widerwillig eine kleine Probe machen, da sie kein ständiges Ensemble mehr hatte und das auf Trio reduzierte ehemalige Quintett des Öfteren – so auch diesmal – einen Einspringer einproben musste. Sie meinte, der neue Schlagzeuger sei unsensibel und der Klang überhaupt scheußlich, tat dem jungen Mann aber unrecht. Es war die reine Hysterie. Zudem hörte sie schon während der kleinen Probe aus den Nebenräumen des für die Chansongala hergerichteten großen Kassenraumes der Landesbank die Geräusche des für das anschließende Galabuffet zuständigen Partyservice. Sollte sie am Abend, während des Gesanges, das leiseste Tellerklappern hören, ginge sie von der Bühne, ließ sie die sinnlos herumstehenden Schranzen der Landesbank wissen.
    Dann ging sie ins Hotelzimmer und weinte ein wenig.
    Ihr Auftritt sollte zwischen Aperitif und Galadiner stattfinden, davor, so wurde ihr mitgeteilt, würde der Chef des Hauses eine kleine Ansprache halten. Kurze Zeit vor ihrem Auftritt kam der Pressechef der Landesbank in die improvisierte Garderobe – man hatte ein Schulungszimmer der Bank für den Gast hergerichtet und sich tausendmal entschuldigt, über nichts Geeigneteres zu verfügen – und kündigte an, der Gastgeber, der Direktor der Bank, möchte seinen Star persönlich begrüßen.
    Der Direktor kam herein.
    »Ich freu mich, dass der Termin geklappt hat.« Er küsste sie auf beide Wangen und strahlte sie an. Er war es. Und diesmal wusste sie nicht nur, das ist der Mann, der da vor einigen Jahren in der Garderobentür gestanden war, diesmal wusste sie auch die Vergangenheit, das Woher.
    Der da vor ihr stand, beantwortete ihr die Frage, die sie sich immer wieder gestellt hatte, beim Schminken, bei Interviews, beim Lesen der Bankpost: Was ist eigentlich Karriere? Der da vor ihr stand, verkörperte Karriere, er war die Antwort auf die Frage. Er war die Einlösung eines Vorhabens.
Er war Karriere
. Bilder aus jener Zeit tauchten auf, als er davon gesprochen hatte.
    Damals hatte am Stadttheater ein junger zweiter Bariton versucht, erster zu werden, hatte in der Kantine immer wissen wollen, wie man ihn in den ihm anvertrauten kleinen Partien gefunden hätte. Jetzt sah sie ihn ganz genau als Bauernburschen im
Bajazzo
vor sich, hörte die kehlige kleine Stimme, sah sich an einer Theke, ihm gegenüber, und hörte sich sagen: »Wenn du es nicht schaffst, ist ja nichts passiert, mit deiner abgeschlossenen Banklehre kannst du immer auf eigenen Füßen stehen.«
    »Weißt du«, sagte der Direktor, »das ist heute gesellschaftlich mein erster wichtiger Abend als Chef hier, meine Mitarbeiter und die Agentur wollten mir was weiß ich wen verkaufen, aber ich hatte mir geschworen, wenn ich meinen ersten Empfang gebe, dann musst du auftreten.«
    »Das finde ich wirklich entzückend von dir.« Sie fühlte sich plötzlich wohl und geborgen.
    Es rann ihr geradezu herunter, als sie den Direktor am Ende seiner kurzen und eleganten Begrüßungsansprache sagen hörte, es wäre ihm ein besonderes Vergnügen, seinen Gästen nicht nur eine der ganz großen Künstlerinnen des Genres Chanson bieten zu können, sondern gleichzeitig auch eine liebe Freundin, ja, wenn man es genau nähme, eine Frau, die einmal seine Kollegin gewesen sei.
    Die betuchte, weiblich schwach durchsetzte Herrengesellschaft nahm die halbstündige Show der Chansonette begeistert auf, man überreichte ihr teuerste Blumen, beim Diner war sie Tischdame des Bankdirektors, und da der eine oder andere wichtige Gast seine
Dame
mitgebracht hatte, bot sich die Frage nach
der
oder
einer
Frau des Bankdirektors an.
    »Die habe ich für immer im Kurort gelassen«, erzählte der Bankdirektor. »Als ich damals zu dir in die Garderobe gekommen bin, ja schon vorher, als ich dich auf der Bühne gesehen habe, hab ich gewusst, mit dem, was da zu Hause auf mich wartet, oder auch nicht, kann es nicht weitergehen.«
    Es wurde reichlich Champagner getrunken.
    Die Chansonette beantwortete versiert und an diesem Abend wieder einmal mit Freude die Fragen der Direktoren nach den Schönheiten und Schwierigkeiten des Berufes der
Frau, die weiß, was sie singt
.
    Der Bankdirektor bat es sich aus, seine Künstlerin persönlich ins Hotel zu bringen, bewies Stil, machte keinen einschlägigen Vorschlag, sagte sich

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