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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
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lediglich zu einem Frühstück an.
    Beim Einschlafen fiel der Chansonette das Lied
Florenz hat schöne Frauen
ein, sie erinnerte sich an einen jungen Mann, der sich verzweifelt bemühte, Boccaccio zu sein, und fand, jetzt wirke er wesentlich besser.
    Wenn der Mann auf die Idee käme, dachte die Chansonette, dann wäre das eine tadellose Gelegenheit, abzuspringen und den Blödsinn mit der Singerei endlich sein zu lassen.
    Sie stand des Morgens etwas früher als nötig auf und machte konzentriert eine erstklassige Toilette.
    Der Bankdirektor hatte nicht viel Zeit für eine Hochzeitsreise. Ein Wochenende im Traumhotel auf der berühmten Insel musste reichen. Als das Paar beim Kerzenschein an den Schalentieren sog und zwischendurch manches liebe Wort fallen ließ, sagte der Bankdirektor:
    »Ich habe dir nie vergessen, dass du mich damals, als ich in die Garderobe gekommen bin, sofort erkannt hast. Ich hab mir vorher gedacht, es ist doch lange her, wer weiß, vielleicht kennt sie dich gar nicht mehr, aber du bist so auf mich zugekommen, hast dich so gefreut, warst so herzlich, wahrscheinlich hat es damals bei mir schon eingeschlagen.«
    »Sofort habe ich dich damals erkannt«, sagte sie. »Bevor du noch den Mund aufgemacht hast, in der Sekunde!«

Der Zauberer
    Der Name des Zauberers hatte überhaupt nichts mit der Figur des Inders zu tun, als der er auftrat. Man stelle sich vor, da wird ein Mann angekündigt, der heißt wie ein Slowake oder ein Spanier, und es kommt ein Inder. Das könnte stören. Bei diesem Zauberer aber, der, wie ich viel später erfuhr, ursprünglich Ungar war, spielte die Unstimmigkeit zwischen Namen und Figur keine Rolle, denn er war der beste Zauberer aller Zeiten.
    Das wusste ich sofort, als ich damals, ich war vielleicht Mitte zwanzig, gewohnheitsmäßig in den gerade gastierenden Zirkus ging. Ich wusste: Ich sehe den besten Zauberer aller Zeiten. Heute freilich räume ich ein, es ist unsinnig zu sagen,
der beste Zauberer aller Zeiten
, man kann ja auch nicht sagen: der beste Geiger, der beste Pianist, denn jeder hat seinen Stil und seine besonderen Fähigkeiten. Dennoch beharre ich auf der Wertung: der für mich beste Zauberer aller Zeiten. Was so viel heißt wie: der beste Zauberer aller Zeiten. Auf dem Gebiet der bewundernden Liebe gibt es zum Glück kein Relativieren.
    Seit ich den Zauberer zum ersten Mal gesehen hatte, konnte ich seine besten Tricks sehr gut beschreiben, konnte ich sagen: Wisst ihr, was der Mann gemacht hat?, und meine Beschreibung stimmte. Ich animierte immer wieder Freunde und Freundinnen zum gemeinsamen Zirkusbesuch, erzählte ihnen vorher, was sie erwartete, freute mich an ihrer Ungläubigkeit und doppelt an ihrer nachträglichen Feststellung, dieser Zauberer sei in der Tat unfassbar.
    Ich könnte Ihnen seine Tricks auch hier darstellen, aber ich hoffe, wir sind uns einig, es wäre Unsinn. Papier ist geduldig, ich könnte lügen, Sie haben keinen Grund, mir zu glauben, der Zauberer hätte tatsächlich so faszinierende Tricks gekonnt, wie ich sie berichte.
    Was ich aber beschreiben kann, sind Stil und Ausstrahlung des Zauberers.
    Er betrat die Manege oder die Bühne heiter. (Natürlich ist das eine gespielte Heiterkeit, verständlich, wenn man womöglich zweimal täglich aufzutreten hat, aber das ist für den Betrachter gänzlich irrelevant.) Ich wiederhole: Er betrat die Manege oder die Bühne heiter, er strahlte Vorfreude aus; die Ungläubigkeit der Menge, das Staunen, die Verblüffung, kurz: alle Reaktionen, mit denen er erfahrungsgemäß zu rechnen hatte, machten ihm Spaß. Holte er sich seine Opfer aus dem Publikum, dann behandelte er sie als Partner, schien auch selbst nicht begreifen zu können, warum die Spielkarte, die die Opfer doch eigenhändig und vor aller Augen zerrissen hatten, sich ausgerechnet in ihrer Brieftasche unversehrt wiederfand. Er vermittelte uns Armen, Ungeschickten, die wir nicht in der Lage sind, unseren Mitmenschen das Unwahrscheinliche, das nicht Menschenmögliche vorzuführen, immer das Gefühl, er, der Zauberer, sei auch so ein Trottel, er hätte nur das Glück, Zauberer zu sein, sei also vom Schicksal mit dem unverdienten Privileg ausgestattet worden, zu erfahren, wie man so was Wahnwitziges macht und wie man es – vorausgesetzt, man hat die Zähigkeit eines Goldsuchers – auch erlernen kann.
    Sehr hing die Wirkung des Zauberers auch mit choreografischer Präzision zusammen. Jede Körperdrehung, jedes
Voilà
, jedes Lachen, jedes

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