Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
und verschwinden. Koranen hat auch diese Möglichkeit bedacht. Er sagt, wenn wir unsere Burg durch eine Illusion tarnen können, könnte das gut auch auf unsere gesamte ›Kultur‹ zutreffen. Soweit die Fremden wissen, könnte es am östlichen Strand, an dem sie an Land gegangen sind, eine ganze Stadt geben, die sie nicht bemerkt haben, weil sie mittels einer Illusion unsichtbar gemacht wurde. Und wenn wir unseren Palast und unsere Städte tarnen, liegt der Schluss nahe, dass wir auch über die Fähigkeit verfügen, dies mit den Bewohnern unserer Insel zu tun.
Wenn wir uns bedroht fühlen, machen wir uns unsichtbar. Wenn unsere Feinde uns nicht sehen können, können sie uns auch nicht angreifen. Das wirst du unseren ungebetenen Gästen klar machen, Saber, falls sie fragen sollten, warum unsere Burgmauern im Moment wie eine Felsklippe aussehen«, schloss Dominor.
»Natürlich«, nickte Saber. Sein Blick wanderte durch
die Halle und über die darin versammelten ungefähr siebzig Personen hinweg. »Das habt ihr gut gemacht – noch dazu in so kurzer Zeit.«
»Ihr wart fast zwei Stunden verschwunden«, erwiderte sein Bruder trocken. » Wir haben uns in dieser Zeit halbtot geschuftet, um euer ›Königreich‹ auf die Beine zu stellen.«
Kelly schoss das Blut in die Wangen. »Wir waren in einer wichtigen königlichen Konferenz.«
Dominor hob spöttisch eine Braue. »Verstehe.«
19
E in durch seinen eigenen Zauber ausgelöstes Kribbeln im Nacken alarmierte Saber plötzlich. Er eilte auf die östliche Brustwehr der äußeren Mauer hinauf, wo seine illusionären Wachposten, die in regelmäßigen Abständen in verschiedenen Steinen verankert waren, patrouillierten.
Sein Warn- und Abwehrzauber funktionierte, stellte er fest, während er beobachtete, wie seine Soldatenillusionen einen Enterhaken von einer Zinne lösten und über die Mauer warfen. Sie trugen den Uniformen der früheren Wachposten von Corvis nachempfundene Rüstungen aus dunkelblauem Leder und wirkten so lebensecht, dass Saber versucht war, sie zu fragen, was hier vor sich ging. Aber sie waren nicht in der Lage, ihm zu antworten. Ihm war nicht genug Zeit geblieben, um ihnen auch noch die Fähigkeit zu verleihen, sich verbal zu äußern.
Saber spähte zwischen zwei Zinnen hindurch. Eine Gruppe von sieben Seeleuten stand am Fuß der Mauer. Zwei hielten an langen Seilen befestigte Haken in den Händen. Einer rollte sein Seil gerade säuberlich auf, der andere holte mit dem seinen aus, um einen erneuten Versuch zu unternehmen, den Haken irgendwo auf der »Klippe« zu verankern. Er legte all seine Kraft in seinen Wurf, der Haken flog fast bis zur Brustwehr empor, prallte dort jedoch von einem Stein ab und fiel wieder zu Boden.
Einer seiner Kameraden rief plötzlich etwas und deutete auf Saber. Alle anderen hoben die Köpfe und starrten nach oben.
Saber stützte die Ellbogen auf die Mauerkante und musterte die Männer feindselig.
»Du da oben! Wie bist du da hinaufgekommen?«, fragte einer der Seeleute in seiner Muttersprache.
»Mir hat man gestattet, hier heraufzusteigen. Euch nicht«, erwiderte Saber mithilfe des Vielsprachenzaubers, während der andere Mann sein Seil aufrollte und sich anschickte, den Haken ein weiteres Mal in die Höhe zu schleudern. »Ich weiß nicht, welche Sitten in eurem Land herrschen, aber hier wartet man, bis man eingeladen wird, und versucht nicht, unaufgefordert in ein fremdes Haus einzudringen.«
Der Mann, der sich zum Sprecher der Gruppe aufgeschwungen hatte, bedeutete seinem Kameraden, das Seil sinken zu lassen. »Demnach führt diese Straße also irgendwo hin?«
»Alle Straßen führen irgendwo hin.«
»Und diese Klippe ist eine Illusion?«
»Natürlich. So halten wir es hier: Statt unnötig Gewalt anzuwenden, um unerwünschte Eindringlinge davon abzuhalten, unsere Burg zu stürmen, verschwinden wir einfach.«
Mit einer raschen Handbewegung machte er sich unsichtbar. Die Männer unten forderten ihn wütend auf, sich augenblicklich wieder zu zeigen. Saber zählte bis zwanzig, dann erschien er erneut auf der Brustwehr. Der Anführer befahl seinen Männern gerade, die Haken noch einmal zu werfen.
»Hörst du schlecht, Mann? Oder fehlt es euch allen an Verstand? Wenn ihr höflich um Einlass bittet, werden wir eurer Bitte vielleicht entsprechen. Ich schlage vor, ihr kehrt jetzt zu eurem Schiff zurück und denkt dort darüber nach, wie ihr euch zivilisierten Menschen gegenüber vorstellen wollt. Niemand hier
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