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Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)

Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)

Titel: Die Söhne der Insel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Johnson
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benötigt wurde, aber wie es aussah, war das nicht der Fall.
    Die Frau vor ihm runzelte leicht die Stirn und streckte einen Finger vor – und berührte genau die Stelle, wo sich
die Pforte in ihrer Welt geöffnet hatte. Sie konnte nicht hindurchtreten, nicht von ihrer fast magiefreien Seite aus, aber sie schien zu spüren, wo die Welten sich überschnitten. Das verwirrte ihn.
    Während er sie betrachtete, betastete sie die Stelle lächelnd. Sie hatte ein koboldhaftes Gesicht mit einem großzügig geschnittenen Mund und lachenden, von dunklen Wimpern umrahmten Augen. Wenn sie die Pforte ohne Hilfe von Magie finden konnte, wenn sie wie eine Seherin ein Gespür für solche Dinge hatte, dann musste sie tatsächlich über eine gewisse Macht verfügen. Jetzt hob sie direkt vor dem Spiegel die Hand, als Abschiedsgeste vielleicht oder um ein letztes Mal in ihrem Leben mit wahrer Magie in Berührung zu kommen.
    Gegen seinen Willen, nur von seinem Instinkt geleitet hob auch er seine Hand und schob sie in den Spiegel.
    Auf der anderen Seite tauchte in Hopes Zelt plötzlich eine Hand aus dem Nichts auf, gut geformt, kräftig und muskulös. Handflächen trafen sich, Finger berührten Finger, und die junge Frau spürte die Wärme dieser Männerhand, die sich augenblicklich auf sie übertrug.
    Nach Atem ringend zog sie die Hand zurück, woraufhin die andere Hand vor ihren Augen verschwand. Ihr Herz begann wild zu hämmern. Sie ließ die Finger sinken und betrachtete die Luft vor ihr eine Weile in Gedanken versunken, dann wandte sie sich ab, um sich wieder ihrer Arbeit zu widmen.
    Sie musste sich um einiges kümmern, ehe auch sie »anderswo« hingehen konnte – ihr Haus und all ihre Besitztümer waren schließlich noch unversehrt, und sie musste überlegen, was damit geschehen sollte. Vielleicht würde sie doch ein Jahr brauchen, ehe sie ihre alte Welt verlassen konnte, aber es war Zeit, die Dinge in Angriff zu nehmen.
    Auf seiner Seite des Spiegels zog Morganen seine Hand zurück, legte sie auf seine Brust und fuhr fort, Kellys Freundin
zu beobachten. Hope . Er hatte das Gespräch mitangehört, das sein Bruder und seine Schwägerin auf der anderen Seite mit ihr geführt hatten; der Vielsprachenzauber hatte ihm die Worte übersetzt. Es wäre von Vorteil, eine Seherin in der Familie zu haben.
    Zu einem meiner Brüder wird sie bestimmt gut passen...
    Er sah zu, wie sie ihre Kleider glatt strich und folgte ihr mittels einer Berührung des Rahmens, als sie das Zelt verließ, um sich um ihre Kunden zu kümmern. Ihr sanfter Hüftschwung hätte die Augen eines jeden Mannes auf sich gezogen, und ihre Kurven waren genauso, wie er sie an einem Frauenkörper mochte. Und da beschlich ihn ein anderer Gedanke.
    Vielleicht passt sie noch besser zu mir. In meinem Vers der Prophezeiung kommt das Wort »Hoffnung« vor. Was, wenn damit ihr Vorname gemeint ist?
    Aber zuvor gab es noch viel zu tun; es galt, einen Bruder zu retten, einen anderen zu heilen … und sechs weitere Schwägerinnen auszusuchen, bevor er daran denken konnte, mit einer eigenen Frau vor die acht Altäre zu treten.
    Es hatte keinen Sinn, sie noch weiter zu beobachten und sich mit Wunschvorstellungen zu quälen. Das Schicksal schien sie zu seiner Hoffnung bestimmt zu haben, aber er konnte sich erst um sie bemühen, wenn seine Brüder alle der Prophezeiung gemäß verheiratet waren. Und deshalb wartete jetzt Arbeit auf ihn. Er drehte sich um, griff nach einer Handvoll des roten Pulvers, das die Grenzen zwischen den Welten wieder schloss, streute es auf den Spiegel und murmelte dazu ein paar Worte.
    Das Bild der sich fröhlich mit anderen Jahrmarktsbesuchern unterhaltenden Hope verwandelte sich langsam in sein eigenes. Ein weiteres Murmeln, ein Streichen über den Rahmen, und er richtete den Spiegel auf einen Platz in
seiner eigenen Welt; so weit entfernt, dass die meisten Magier ihn nicht erreicht hätten. Doch Morganen vermochte mehr Macht aus seiner Umgebung zu ziehen als jeder andere Bruder, abgesehen vielleicht von Rydan, der sich die Kraft des Sturmes zunutze machte. Dass er gelegentlich erschöpft und ausgelaugt wirkte, war eine Fassade, die seine Brüder in dem Glauben wiegen sollte, er wäre nur um ein weniges mächtiger als sie selbst … in Wahrheit verfügte er über eine größere Macht als sie alle zusammen.
    Manchmal war eine kleine, sorgsam verschleierte Notlüge der wirksamste Zauber eines Magiers.
    Der erste Ort, den er im Spiegel erblickte, war verlassen.

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