Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
verhinderte, dass sich mehr als hundert Menschen dauerhaft hier ansiedeln
konnten. Hätte sie das nicht getan, wäre der innere Teil der Insel zerstört worden und sämtliche Bewohner ums Leben gekommen.
Und so kehrten die Einwohner Nightfalls in aller Eile zum Festland zurück, denn das Wasser wurde bitter, das Vieh fraß nicht mehr, die Ernten verdorrten auf den Feldern … jede nur erdenkliche Katastrophe suchte die Insel heim. Nachdem die Menschen sie verlassen hatten, wurde Nightfall der perfekte Aufenthaltsort für Verbannte. Ich glaube, zu den Bedingungen zur Aufhebung des Fluchs zählt unter anderem ein Zustand, ›wo alle Geräusche verstummen und Hilfe eintrifft‹. Ich habe mich allerdings seit längerer Zeit nicht mehr mit diesen Dingen befasst.«
»Entzückend.« Kelly runzelte die Stirn, tauchte kurz unter, um ihr Gesicht zu befeuchten, und wischte dann ein paar Wassertropfen ab. »Woher weißt du das alles? Ich dachte, du und deine Brüder wärt erst vor ein paar Jahren hierher gekommen?«
»Ihr habt doch vor – wann genau? – vor achtzehn oder zwanzig Tagen die Burgbibliothek gründlich sauber gemacht. Dort stehen ein paar dicke Bände, die die Geschichte Nightfalls behandeln. Sie sind in weißes Leder gebunden, du hast sie vielleicht gesehen, und decken die vergangenen zweitausend Jahre ab. Dazu gibt es noch einen neueren Nachtrag, der von der letzten Gruppe hierher Verbannter und uns selbst handelt … und unsere Geschichte versuchte ich nach Möglichkeit immer auf dem neuesten Stand zu halten. Obwohl es nicht viel aufzuzeichnen gibt, hier geschieht ja von den gelegentlichen Angriffen unseres unbekannten Feindes abgesehen kaum etwas. Wir wüssten vermutlich längst, wer dahintersteckt«, fügte er bitter hinzu, »wenn wir nicht hier festsitzen würden. Aber daran können wir momentan nichts ändern.«
Kelly hätte gerne gefragt, ob auch sie inzwischen in diesem Buch aufgeführt war, aber das Thema erschien ihr angesichts
der Tatsache, dass ihre Anwesenheit hier vielleicht ein nicht näher beschriebenes Unheil heraufbeschwor, zu heikel. »Also pumpt diese … diese Anlage Wasser vom Meer hinauf?«
»Ja, von einem der tiefsten Punkte der Bucht. Dann entsalzt sie es und reinigt es von Plankton und anderen unliebsamen Bestandteilen, bis es rein und klar und zum Trinken geeignet ist, und leitet es in die Burg«, bestätigte Saber und legte eine höfliche Pause ein, als sie erneut untertauchte. »Etwas davon fließt auch in eine Frischwasserlagune, die einst, als Nightfall noch ein Herzogtum war, einen Teil der ursprünglichen Hafenstadt bildete.
Bei dieser Lagune handelt es sich eigentlich um ein riesiges Steinbecken, in dem das Wasser gesammelt und zu den einzelnen Gebäuden auf der Insel geleitet wurde.« Er hielt inne, um seinerseits unter Wasser zu tauchen, kam prustend wieder zum Vorschein und fuhr fort: »Auch wenn gerade keine Verbannten auf der Insel leben, kommen die Leute vom Festland zu Vollmond und Neumond hierher, wenn das Wetter es zulässt. Sie holen das Salz ab, das die Anlage den täglich gereinigten Tonnen von Wasser entzieht und zu Blöcken presst.
Damit der Zauber dauerhaft aktiv bleibt, darf der Verarbeitungsprozess nie unterbrochen werden«, erklärte er, als er ihren fragenden Gesichtsausdruck bemerkte. »Auch die Algenblöcke geben einen vorzüglichen Dünger ab – wie du siehst, wird nichts verschwendet. Rechtmäßig sind beide Produkte, sowohl das Salz als auch der Algendünger, Eigentum des Herzogtums Nightfall, aber da seit Hunderten von Jahren hier kein Herzog und keine Herzogin mehr herrscht …«
Er brach ab und zuckte die Achseln, also führte sie den Satz zu Ende. »Also sind die, die hierher verbannt wurden, in doppelter Hinsicht gestraft, denn sie profitieren nicht von dem Salzhandel. Und wenn deine Welt der meinen zu
Zeiten des Mittelalters auch nur im Entferntesten ähnelt, kann Salz ein äußerst wertvolles Handelsgut sein.«
»Mittel- was?«
»Mittelalter«, wiederholte Kelly. »In meiner Welt gab es zwischen den antiken Reichen voller neuer Ideen und Erfindungen und meinem modernen Zeitalter, in dem alles neu entwickelt, überarbeitet und verbessert wird und die Menschen mit Neuerungen förmlich überschwemmt werden, eine ungefähr tausend Jahre währende Phase der Stagnation. Nichts änderte sich in dieser Zeit. Die Menschen trugen Kleider, die den euren sehr ähnlich waren, in vieler Hinsicht jedenfalls«, erklärte Kelly. »Obgleich eure Möbel
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