Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
feuchten Handtuch griff und es sich um die Hüften schlang. Er tappte zu dem zwischen der Tür und der Wanne aufgestellten Wandschirm hinüber und schob ihn so zurecht, dass er Kelly vor neugierigen Blicken schützte, erst dann ging er zur Tür, die vor ein paar Wochen sorgfältig mit Sand abgeschmirgelt worden war, sodass sie nicht mehr klemmte.
Als einer seiner Brüder erneut ungeduldig gegen das Holz hämmerte, öffnete Saber die Tür einen Spalt breit. Kelly konnte nicht alles verstehen, was er und die Männer auf der anderen Seite sagten, und sie konnte dank des Wandschirms auch niemanden erkennen, aber der Tonfall des Gesprächs war nicht zu missdeuten und aus ein paar Satzfetzen konnte sie sich das meiste zusammenreimen.
Es begann mit etwas, das klang wie: »Was zur Hölle wollt ihr hier?«, gefolgt von: »Nanu, teurer Bruder, bist du etwa nackt ? Sind Glückwünsche angebracht?«, und: »Kümmert euch gefälligst um eure eigenen Angelegenheiten! Gebt mir, was auch immer ihr mitgebracht habt, und verschwindet!«, und tiefem Männergelächter, als er den Kopf zurückzog. Kelly sah, wie die Tür sich einen Moment lang weiter öffnete, dann schlug Saber sie zu, betrachtete sie nachdenklich, hob seine fast verheilte Hand und murmelte etwas Unverständliches. Vermutlich verriegelte er sie mithilfe eines Zauberspruchs.
Einen großen Krug in den Händen tappte er zur Wanne zurück und goss die Flüssigkeit – eine Art Fruchtsaft von undefinierbarer bräunlich grüner Farbe – seufzend in ihre Becher und stellte den Krug auf den Stufen ab. Er ließ das Tuch fallen, stieg in die Wanne, tauchte unter und strich sich dann das nasse Haar aus der Stirn. »Bei Jinga, langsam fange ich an, mich wieder menschlich zu füh …«
Plötzlich verzerrten sich seine ebenmäßigen Züge leicht, und Kelly bekam einen Eindruck davon, wie er als kleiner Junge ausgesehen haben musste, wenn er seinen jüngeren Brüdern Grimassen schnitt.
Kelly grinste in ihren Becher, als er sofort wieder aus der Wanne hochschoss. Zweifellos würde dieser Ausdruck auch allzu bald wieder auf ihr eigenes Gesicht treten, aber momentan war sein Anblick einfach zu komisch. Zumindest würde ihr gemeinsam durchlittenes Elend gewährleisten, dass sie sich in körperlicher Hinsicht nicht mehr voreinander genieren würden, auch dann nicht, wenn das Wassserschlangengift in ihrem Blut endlich neutralisiert war. Nicht nach der Tortur, die sie diesem Zeug zu verdanken hatten.
Ungefähr so wie eine Magen-Darm-Grippe in meiner Welt, nur dass das hier von einem unbekannten Gift und nicht von einem Virus ausgelöst worden ist. Sie unterdrückte ein Lachen, trank von dem erstaunlich schmackhaften Saft und wartete auf Sabers Rückkehr und darauf, dass sie an die Reihe kam, blitzartig ins Bad zu stürzen.
Oder vielmehr in die Abtrittkammer. Halt dich an das hiesige Vokabular, Kelly.
Sie berührten einander behutsam; sorgsam darauf bedacht, gewisse Bereiche auszusparen, verzogen die Gesichter, wenn sie das Übermaß an Wasser wieder loswerden mussten oder zu viel auf einmal davon getrunken hatten und überprüften gelegentlich ihre Finger und Zehen, um festzustellen, ob die Haut schon schrumpelig zu werden begann.
Und sie redeten. Von ihrer Kindheit im Nordwesten der USA und davon, was Fahrräder, Fernseher, Kinos und Achterbahnen waren. Von seiner Kindheit, seinen ersten Reitstunden, seinen ersten Übungen mit einem Holzschwert und seiner allein darauf ausgerichteten Erziehung, dass
er als der Älteste eines Tages über das Herzogtum Corvis herrschen würde. Und dann war doch alles ganz anders gekommen.
Sie verglichen Kellys einsame Kindheit mit der seinen, die er in der Gesellschaft von sieben Brüdern verbracht hatte, sodass immer jemand da gewesen war, mit dem er spielen oder sich streiten konnte. Er sprach von dem ganz besonderen Band, das zwischen ihm und seinem Zwilling Wolfer bestand, sie von der Generationenkluft in ihrer Nachbarschaft, wo die älteren Kinder nicht mit ihr spielten, weil sie zu klein war und sie auf die jüngeren für gewöhnlich hatte aufpassen müssen, weil sie älter und somit verantwortungsbewusster war. Nur Freunde in ihrer eigenen Altersgruppe hatte sie keine finden können.
Er erzählte ihr von seinem ersten Kampf gegen Räuber, den er im Alter von fünfzehn bestritten hatte; sie davon, wie sie den maskierten Angreifer vertrieben und sich früher auf dem Schulhof gegen rüpelhafte Mitschüler zur Wehr gesetzt hatte. Er zeigte
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