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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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einen väterlichen Freund für meinen Sohn angeht, doch ich wollte den Frieden deines Haushalts nicht stören, und man sagte mir, es könne mißverstanden werden.«
    »In der Tat«, erwiderte Arion mit einer leichten Grimasse und einer Mischung aus Erleichterung und Bedauern, die schwand, als Ilian fortfuhr.
    »Da ich nunmehr Gast in deinem Haus bin, besteht diese Gefahr wohl nicht mehr.«
    »Wie meinst du das?« fragte Arion mißtrauisch, und Ulsna verbarg ein Lächeln, denn er begriff, worauf Ilian hinauswollte.
    »Der edle Theophrastes erwies sich als sehr freundlich, und die Priester des Apollon desgleichen, aber es mag sein, daß es während meiner Abwesenheit zu Mißverständnissen anderer Art kommt. Man könnte glauben, mir sei etwas geschehen, und Remus nach Delphi bringen lassen. Ich glaube nicht, daß der edle Theophrastes die Herausgabe meines Sohnes in diesem Fall verweigern würde. Aber du «, setzte sie hinzu, erhob sich und ergriff Arions Hände, »kennst mich zu gut, um nicht auf mein Überleben zu vertrauen, alter Freund. Wenn ich Remus bei dir lasse, dann bin ich sicher, ihn bei meiner Rückkehr auch wieder hier vorzufinden.«
    Aha, dachte Ulsna. Das stand also in dem Brief. Iolaos muß so unklug gewesen sein anzudeuten, daß man Ilian nicht mehr unbedingt braucht, jetzt, wo der Junge da ist. Er fragte sich, ob das ernst gemeint oder nur als Mittel gedacht war, um Ilian weiter in den Dienst des Orakels zu spannen. Wie auch immer, er bezweifelte, daß Arion diese Zusammenhänge erkannte. Arion war nicht dumm, doch er wußte von Ilians Beziehung zu dem Orakel von Delphi nur das Allernotwendigste. Jetzt wirkte er gleichermaßen geschmeichelt und unangenehm berührt, machte jedoch keine Anstalten, Ilian seine Hände zu entziehen.
    »Nun, ich...«
    »Die Götter werden es dir vergelten«, sagte Ilian strahlend und gab ihm einen zarten Kuß auf die Wange. »Du brauchst ihn nicht mit deinen Kindern erziehen zu lassen; seinen Unterricht erhält er weiterhin mit den Söhnen des Theophrastes. Gewähre ihm nur ein Dach über dem Kopf, und achte auf seine Sicherheit, solange ich fort bin.«
    Arion betrachtete sie noch einen Moment länger, dann brach er in schallendes Gelächter aus. »Bei Poseidon, ich kann mich immer noch nicht entscheiden, ob du ein Schützling der Götter oder einfach das gerissenste Luder bist, das mir je über den Weg gelaufen ist. Schon gut, ich werde auf den Bengel aufpassen. Aber verrate mir doch«, fügte er hinzu und bewies, daß er sowohl ein gutes Gedächtnis besaß als auch nachtragend sein konnte, »warum hast du ihn nicht bei deinem Gatten gelassen, hm? Dem einen Mann, dem du vertraust?«
    Im Gegensatz zu einem ihrer Söhne war es Arion nicht gegeben, Ilians Selbstbeherrschung zu erschüttern. Sie verzog keine Miene, noch wich sie zurück. Mit dem gleichen Strahlen und nur eine Spur kühler antwortete sie: »Weil ich inzwischen gelernt habe, auch anderen Menschen zu vertrauen, Arion.«
    Dann löste sie ihre Hände aus den seinen, ruhig genug, damit es nicht abrupt oder beleidigend wirkte, und ließ sich erneut auf der Bank nieder. Es war Arion, der mit einemmal verlegen dreinschaute.
    Mach dir keine Sorgen, dachte Ulsna. Dich hat sie nicht gemeint. Und solltest du dich je an die Stelle des armen Kerls gewünscht haben, sei froh, daß du es nicht geschafft hast.
    Um die plötzlich eingetretene Stille zu überbrücken, sagte er unbekümmert: »Ich habe zwar keines meiner Instrumente dabei, doch die Götter haben mir gerade jetzt ein Lied eingegeben. Um den Abschied und das Wiedersehen von alten Freunden zu feiern.«
    »Eingebungen der Götter sollte man folgen«, meinte Ilian. »Und ihre Geschenke würdigen.«
    Arion seufzte. »In der Tat. Sing dein Lied, Ulsna. Und füge einen Vers für Seeleute ein, die sich dem Schicksal ergeben haben.«

    Remus fand sich inzwischen gut in Korinth zurecht. Arkas und
    Lichas hatten nach ein paar Raufereien und gegen ihn verlorenen Wettkämpfen aufgehört, sich über seinen Akzent und seinen beschränkten Wortschatz lustig zu machen, und mittlerweile unternahmen sie auch nach dem Unterricht noch vieles gemeinsam, ehe er in den Apollon-Tempel zurückkehrte. Insgeheim hoffte er, daß seine Mutter sich irgendwann ein Haus wie ihre Freundin Prokne besorgte; er mochte Tempel und Priester immer noch nicht besonders und verrichtete die Gebete, die, wie seine Mutter ihm erklärte, den Dank an ihre Gastgeber und deren Schutzgott darstellten, ziemlich

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