Die Söhne der Wölfin
wurde, mit den Söhnen eines Mitglieds der ersten Familien herumzulaufen, das fertiggebracht, was selbst dem Orakel von Delphi nicht gelungen war: eine Einladung an Ilian in Arions Haus. Bisher hatte Arion sie immer im Tempel oder bei Prokne aufgesucht, wenn er etwas von ihr wollte, oder sie war zum Hafen gekommen, oder Ulsna hatte als Bote gedient.
Kurz nach ihrer Ankunft hatten sie beide zum ersten Mal Arions Frau gesehen, die ihnen höflich Erfrischungen gebracht hatte und dann verschwunden war. Soweit Ulsna es aufgrund dieser kurzen Begegnung beurteilen konnte, handelte es sich um ein fülliges kleines Wesen mit energischem Kinn. Vielleicht rührte die Fülle aber auch von einer neuen Schwangerschaft her; Arion mußte seine Rückkehr von der See wohl auf die übliche Weise gefeiert haben. Nicht, daß Ulsna selbst noch Hoffnungen hinsichtlich Arions hegte; seine verwirrten jugendlichen Gefühle von einst waren zu einem wohlwollenden Bedauern verblaßt, obwohl die Jahre Arion bisher noch nicht geschadet hatten. Das warme, rötliche Licht der untergehenden Sonne ließ ihn wirken, als würde er gerade mit einem schwungvollen Pinsel auf Ton gemalt, so wie er da an der Säule lehnte und die auf einer Bank sitzende Ilian betrachtete.
»Sais zumindest ist wieder unter der Herrschaft von Psammetichos«, erklärte Arion, »was mich, wie ich zugeben muß, ausgesprochen erleichtert. Nicht, daß sich mit dem Nubier nicht auch handeln ließe, aber er hat gewiß keinen Grund, jemandem den Vorzug zu geben, der mit seinen Feinden im Geschäft war, und es gibt genügend andere.«
Die griechische Angewohnheit, Namen einer fremden Sprache in die eigene umzuformen, und sei es, daß man ihnen eine griechische Endung anhängte, hatte etwas Hochmütiges - oder Liebenswertes; Ulsna war sich nie sicher, was von beiden zutraf. Bei dem Namen des neuen nubischen Herrschers, Tanwetamani, hatten sie allerdings aufgegeben; es war nicht einfach für Ilian gewesen, ihn herauszufinden. Jetzt lächelte sie schwach und entgegnete:
»Ich bin sicher, du würdest ihn überzeugen können, wenn es darauf ankäme. Hast du mit Psammetich selbst gesprochen?«
»Wo denkst du hin. Der junge Regent beider Länder hatte Besseres zu tun, als Händler zu empfangen; er war voll und ganz damit beschäftigt, an der Spitze assyrischer Streitkräfte gen Süden vorzurücken. In Sais war nur sein Haushofmeister anzutreffen.« Arion nickte Ulsna zu. »Und ein paar Sänger, die immer noch Trauerlieder auf den verstorbenen Necho verfaßten. Wie es scheint, ist Psammetich jetzt Horus, der den Tod seines Vaters Osiris rächen wird, was auch immer das bedeutet.«
»Wurde dabei etwas über Theben gesagt? Meine Quellen behaupten steif und fest, Psammetich oder die Assyrer oder beide hätten geschworen, Theben wegen seiner Treue zu den Nubiern zu brandschatzen.«
»Mir kam etwas wie endgültig von dem Makel des Verrats und den Fremden reinigen zu Ohren, doch keine Einzelheiten. Schließlich bin ich selbst ein Fremder, der dieses Kauderwelsch kaum spricht.«
Trotz der Falte, die sich in ihre Stirn grub, klang Ilian belustigt, als sie sagte: »Du solltest wirklich besser darin werden, fremde Sprachen zu erlernen, Arion.«
Arion zuckte die Achseln. »Wozu? Meine Muttersprache ist die klangvollste der Welt und mittlerweile an allen Küsten geläufig. Im übrigen«, fuhr er, ernster werdend, hinzu, »weiß ich nicht, warum Theben so wichtig sein soll. Gewiß, es war die alte Hauptstadt, und die Nubier haben dort residiert, aber inzwischen läuft doch der gesamte Handel über die Deltastädte, gerade Sais. Was auch immer mit Theben geschieht, kann so wichtig nun doch nicht sein.«
»Theben ist das Herz Ägyptens und seine Erinnerung«, entgegnete Ilian und hob ihr Gesicht der sinkenden Sonne entgegen, während sie die Lider halb schloß und die Hände faltete. »Wird eines deiner Schiffe bald wieder nach Sais auslaufen, Arion?«
»Sicher. Es stehen immerhin noch ungelieferte Ladungen von mehreren Monaten an.«
»Ilian«, warf Ulsna beunruhigt ein, »ich dachte, du willst den Jungen noch nicht...«
»Nein, und er wird auch nichts davon sehen. Im übrigen hat er gerade erst Freunde hier gefunden. Er wird mich nicht begleiten.« Sie öffnete die Augen und wandte sich Arion zu. »Du«, sagte sie auf die sanftmütige Art, in der Ulsna immer einen Hauch von Spott entdeckte, welcher Ilians jeweiligem Gegenüber in der Regel verborgen blieb, »wärst meine erste Wahl gewesen, was
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