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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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lustlos.
    Die Pferde, die es hier gab, waren wirklich herrlich, doch aus Treue zu seinem verlorenen Xanthos verzichtete er darauf, sich ein bestimmtes auszusuchen, wenn er mit den Söhnen des Theophrastes um die Wette ritt, sondern nahm immer ein anderes. Auch dies hatte zur Steigerung seines Ansehens unter den jungen Korinthern beigetragen: Es gab kein Tier, mit dem er sich nicht verstand. Arkas fragte ihn sogar geradeheraus, ob dies mit der Rasna-Zauberei zu tun habe, und Remus erklärte beleidigt: »Ganz bestimmt nicht! Ich bin überhaupt kein Rasna, ich bin ein Latiner.«
    »Na, deine Mutter ist eine Rasna-Magierin«, gab Arkas zurück, »also bist du zumindest ein halber Rasna. Und was ist ein Latiner?«
    Es war ernüchternd, inmitten von Leuten zu leben, die im Gegensatz zu den Rasna von seinem eigenen Volk noch nicht einmal gehört hatten. Arkas’ Bemerkung ging Remus eine Weile nach. Gewiß, die Mutter war eine Rasna. Und wenn der Vater nicht der Vater war, dann gab es keinen Tropfen latinisches Blut in ihm. Doch es war schwer, sich als Rasna zu fühlen, wenn er noch nicht einmal die Sprache richtig sprach und bereits anfing, das, was er gelernt hatte, zugunsten des täglichen Griechischen zu vergessen, wenn Ulsna oder die Mutter sie nicht benutzten. Im übrigen wollte er gar kein Rasna sein. Rasna nahmen Tribut von armen, ehrlichen Latinern, und einige waren unheimliche Zauberer.
    Die Griechen hatten auch merkwürdige Gewohnheiten, aber sie waren zumindest nicht unheimlich, und er mußte sich nicht schuldig oder verräterisch fühlen, weil er sie mochte. Im großen und ganzen war er gern hier. Deswegen stimmte es ihn ganz und gar nicht glücklich, als er eines Abends in die Unterkunft zurückkehrte, die man ihnen auf dem Tempelgebiet zur Verfügung stellte, und seine Mutter beim Packen fand.
    »Hast du jetzt ein eigenes Haus?« fragte er hoffnungsvoll, als ihm einfiel, daß der Packvorgang auch eine günstige Bedeutung haben konnte.
    Sie schüttelte den Kopf, und seine Stimmung verdüsterte sich. »Müssen wir hier weg?«
    »Ja und nein«, erwiderte sie, klappte den Deckel der Truhe zu, aus der sie ein paar Dinge geholt hatte, setzte sich darauf und klopfte neben sich, um ihm zu bedeuten, er möge sich neben ihr niederlassen. »Du kannst hier in Korinth bleiben, aber ich muß für einige Zeit fort, nach Ägypten, um...«
    »Nein!« platzte Remus heraus. »Du kannst nicht weg! Du kannst mich nicht wieder allein lassen!«
    Angesichts der Tatsache, daß er noch vor einiger Zeit gewünscht hatte, sie wäre überhaupt nie erschienen, um sein Heim zu zerstören, waren seine Worte widersinnig, das wußte er. Aber die Aussicht, völlig allein in einem fremden Land zu bleiben, machte ihm mehr angst als jede Mutprobe, der er sich je gestellt hatte. Erst heute war er ohne Furcht auf das Dach von Theophrastes’ Haus geklettert. Er verstand selbst nicht, warum das hier etwas anderes war.
    Seine Mutter betrachtete ihn nachdenklich. »Ich hätte nicht geglaubt, daß du mich jetzt schon vermißt«, murmelte sie.
    »Wen habe ich denn sonst noch?« fragte Remus, ehe er sich zurückhalten konnte.
    Sie biß sich auf die Lippen. »Es ist nur für ein paar Monate. Und du hast doch Freunde hier gefunden, nicht wahr?«
    »Ja, Freunde«, wiederholte er, und dachte, daß er früher eine Familie gehabt hatte.
    »Wenn ich dich mitnähme«, meinte sie, »würdest du sie zurücklassen und schon wieder eine fremde Sprache lernen müssen. Und dann wären wir in ein paar Monaten doch wieder hier.«
    »Warum kannst du denn nicht gleich hierbleiben?« beharrte Remus störrisch.
    »Wenn ich es dir erkläre«, entgegnete seine Mutter sehr ernst, »mußt du versprechen, niemandem etwas davon zu verraten. Niemandem, versteht du?«
    Er wußte nicht, weswegen, doch das half ihm. Sie würde ihm etwas anvertrauen, etwas mit ihm teilen, das geheim war. Statt verlassen und wertlos fühlte er sich auf einmal wie ein wichtiger Mitverschwörer.
    »Ich verspreche es!«
    »Es gibt zwei Gründe. Zum einen besteht die Gefahr, daß in Ägypten ein Schatz vernichtet wird, ein Schatz von ungeheurem Wert. Ich muß versuchen, das zu verhindern, und wenn es mir nicht gelingt, zumindest einen Teil des Schatzes zu retten.«
    »Wenn du es schaffst, gehört der Schatz dann uns?« fragte Remus mit leuchtenden Augen und überlegte sich, ob es sich nicht doch lohnte, für ein solches Ziel schon wieder eine neue Sprache zu lernen.
    »Nein. Das ist der andere Grund.« Sie

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