Die Söhne der Wölfin
lassen. Die feuchte Hitze des Deltas ließ ihn dankbar sein, daß man sich in einem Becken, das vom Fluß gespeist wurde, abkühlen konnte und ihnen danach frische Kleider zur Verfügung standen, die nicht vor Meersalz steif waren. Nur in Ägypten konnte er nackt sein, ohne sich wegen starrender Blicke Sorgen zu machen, nur in Ägypten konnte er ohne einen weiteren Gedanken neben dem alltäglichen Lendenschurz eines jener weichen, durchsichtigen Übergewänder aus Byssusgewebe tragen, die der Haut so schmeichelten.
Nur in Ägypten konnte er Ilian in den gleichen Überwürfen sehen statt in den dicht gewebten Chitons, die sie sonst trug, um die Narben auf ihrem Rücken zu verbergen.
Sie hatte ihr Haar gewaschen, und er setzte sich, wie so oft, hinter sie, um es zu kämmen, was zu den Ritualen gehörte, die seit Jahren das Leben, das sie miteinander führten, prägten und ihnen etwas Stabiles in einer sich ständig verändernden Welt schenkten.
»Was wirst du tun, wenn bereits alles vorbei ist?« fragte er und ließ sich die braunen Locken, die durch die Nässe länger wurden, durch die Finger gleiten. »Wenn es nichts mehr gibt, was sich aus Theben noch retten läßt?«
»Es gibt immer etwas. Wenn selbst Iolaos in Delphi gehört hat, daß die Gefahr der Brandschatzung besteht, dann wissen sie es dort erst recht. Sie werden die wichtigsten Dokumente und Instrumente in Sicherheit gebracht haben. Es kommt nur darauf an, sie zu finden.«
»Aber wenn nicht?« beharrte er. »Wenn alles zerstört ist, oder wenn du nichts mehr findest... glaubst du, Iolaos wird sich mit dem, was du bisher geliefert hast, zufriedengeben oder dich fallenlassen und versuchen, den Sohn des Kriegsgottes ganz allein auf den Thron von Alba zu bringen?«
»Es ist eine Möglichkeit«, gestand sie ein. »Doch ich glaube nicht daran. Iolaos haßt Verschwendung, und auf ein so nützliches Instrument wie mich zu verzichten, ehe er sicher sein kann, daß er etwas Gleichwertiges hat, wäre Verschwendung.«
»Aber Remus läßt du doch lieber in Arions Obhut«, neckte er sie und griff zu dem feinzahnigsten der Kämme, nachdem er die gröberen Verwicklungen schon aufgelöst hatte.
»Ich will die sehr ehrenwerte Priesterschaft des Apollon nicht in Versuchung führen. Außerdem fühlt sich Remus bei Arion ganz bestimmt wohler.« Sie schwieg eine Zeitlang, dann fragte sie abrupt: »Glaubst du, daß die Botschaften je ankommen werden?«
Es überraschte ihn, daß sie dergleichen überhaupt in Betracht zog. Ulsna hatte angenommen, sie habe das Ganze nur in die Wege geleitet, um Remus über die erste Zeit der Trennung hinwegzuhelfen und dem Jungen die Illusion zu geben, er habe sein altes Leben noch nicht völlig verloren.
»Dieser Methos, dem du sie mitgegeben hast, spricht zwar unsere Sprache und scheint sich in den zwölf Städten auszukennen«, entgegnete er zweifelnd, »aber ob er deswegen das richtige Dorf findet... ich weiß nicht. Ehrlich gesagt, auf mich hat er keinen sehr zuverlässigen Eindruck gemacht«, schloß er und dachte an den langnasigen Fremden, den Ilian durch Prokne kennengelernt hatte und der noch nicht einmal preisgeben wollte, welchem Volk er eigentlich angehörte.
»Du hast es gefunden.«
»Aber mich hast du nicht geschickt«, gab Ulsna schärfer zurück, als er eigentlich beabsichtigt hatte, und Ilian drehte sich zu ihm um.
»Ich habe dich aus dem gleichen Grund nicht geschickt, aus dem ich Remus bei Arion untergebracht habe, statt ihn in deine Obhut zu geben«, sagte sie leise. »Weil du versprochen hast, mich nicht zu verlassen.«
Es war, dachte Ulsna, nicht unbedingt das Vernünftigste, sich von Ilian bestätigen zu lassen, daß sie ihn brauchte, doch es gab Zeiten, in denen er nicht darauf verzichten konnte, und die Nächte ausgerechnet an diesem Ort gehörten dazu. Außerdem hatten die Ereignisse dieses Jahres ihn wieder daran erinnert, wie sie sich verwandeln konnte. Sie als Frau eines unbedarften latinischen Bauern zu erleben war schon merkwürdig genug gewesen. Sie als Mutter zu sehen, statt nur zu wissen, daß sie irgendwo Kinder hatte, ging noch tiefer; es löste eine Mischung aus Beunruhigung, Mitleid und Neid in ihm aus, mit der er nicht immer leicht fertigwurde. Außerdem hatte ihn die Zeit in Korinth wieder daran erinnert, warum er Prokne nicht mochte. Er gestand sich ein, daß er es genoß, Ilian seit ihrer Abreise aus Korinth wieder allein für sich zu haben, ohne den Jungen, die Priester oder Prokne. Es kam
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