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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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unglaublich gewesen. Er mußte unbedingt jemandem davon berichten. Seine Mutter war dafür kaum die Richtige, die Sklaven ging es nichts an, und von seinen Freunden war keiner hier.
    »Hm«, machte Ulsna, der gerade damit beschäftigt war, die Saiten seiner Harfe neu zu stimmen.
    »Sie ist eine Göttin! Sie ist Aphrodite, herabgestiegen zu uns Sterblichen. Du mußt mir unbedingt ein Lied auf sie schreiben!«
    »So sehr es mich freut, dich endlich dichterische Vergleiche benutzen zu sehen - das geht zu weit.«
    »Aber warum? Ich dachte, ein Barde muß auf alles sein Lied machen können.«
    »Zu einem Liebeslied«, entgegnete Ulsna trocken, »muß er sich inspirieren lassen. Und ich bin nicht der Lage, mich von einer Frau inspirieren zu lassen, die ich nicht ausstehen kann.«
    Es war Remus unverständlich, wie jemand Abneigung gegen Prokne hegen konnte, und er brachte das sofort und heftigst zum Ausdruck.
    »Jedem das Seine. Ich halte Fische für warmblütiger.«
    Erzürnt ob dieser Schmähung seiner neuerkorenen Angebeteten, sagte Remus ärgerlich: »Du bist nur eifersüchtig, weil sie dich nie küssen würde. Gibt es überhaupt jemanden, der das will?«
    Gleich darauf hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen. Er hatte den guten alten Ulsna, dessen Alter sich irgendwo in der hohen Region jenseits der Dreißig bewegen mußte, aufrichtig gern, und es war nicht seine Art, einen Freund absichtlich zu kränken. Aber es war auch nicht kameradschaftlich von Ulsna, so mißgünstig zu sein und häßlich über Prokne zu reden. Außerdem konnte man es drehen und wenden, wie man wollte, Ulsna lebte enthaltsam. Einer von Theophrastes’ Söhnen hatte Remus einmal gefragt, ob Ulsna ein Eunuch sei, und als Remus feststellte, daß er die Frage nicht mit Sicherheit beantworten konnte, war ihm erst das Ungewöhnliche an Ulsnas Leben aufgefallen. Ulsna ging nicht zu den Huren, und er war auch niemandes erastes oder eromenos . Vielleicht war er wirklich ein Eunuch. In diesem Fall war die Bemerkung gerade doppelt kränkend gewesen, und Remus beeilte sich, sie wiedergutzumachen.
    »Tut mir leid«, sagte er reumütig, »das war nicht so gemeint.«
    »Doch, das war es«, erwiderte Ulsna kühl. »Aber ich glaube nicht, daß die Antwort auf diese Frage jemanden außer mir etwas angeht, und schon gar nicht einen Jungen, der derzeit gewiß nicht mit seinem Kopf denkt.«
    Beleidigt verschwand Remus aus Ulsnas Zimmer und beschloß, seine Freude über Proknes Herrlichkeit demnächst nur noch mit Gleichaltrigen zu teilen.

    Wenige Jahre waren für Arion so schwer gewesen wie das vergangene. Das letzte Kind, das ihm geboren worden war, hatte seine Frau das Leben gekostet, und der arme kleine Wurm war ihr ein paar Tage später gefolgt. Obwohl er sie immer gern gehabt hatte, überraschte ihn die Einsamkeit und Leere, die ihn seither erfüllten. Schließlich hatte er regelmäßig einen Teil des Jahres auf See verbracht, und in Korinth teilte er seine Zeit gewiß mehr mit seinen Freunden als mit seinem Weib. Doch nun, da sie nicht mehr hier war, um ihn nach einer großen Fahrt willkommen zu heißen, mit ihm über die Zukunft der Kinder zu schwatzen oder ihn wegen seiner ersten grauen Haare zu necken, stellte er fest, daß er mehr als nur einen warmen Körper auf seinem Lager vermißte.
    Er sprach mit niemandem darüber. Für seine Freunde war seine Frau eine Unbekannte gewesen, und überdies wußte Arion bereits, was sie ihm raten würden: sich umgehend ein neues Weib zu nehmen. Nicht, daß er diese Möglichkeit nicht selbst in Betracht zog, doch zum einen wollte er eine solche Entscheidung nicht überhastet treffen. Er war aus dem Alter heraus, in dem man zuließ, daß der Phallus über den Kopf regierte. Zum anderen schien es ihm, als schulde er der Verstorbenen einige Zeit des Gedenkens an sie, und er wußte auch, daß seine Kinder eine Stiefmutter so bald nach dem Tod ihrer Mutter nicht gut aufnehmen würden.
    Als er von einer Reise nach Kreta wiederkehrte und erfuhr, daß Ilian endlich aus Ägypten zurückgekommen war, erfüllten ihn Erleichterung und Freude. Er sah sie immer noch als seinen Glücksbringer, das Symbol dafür, daß sich die Dinge in seinem Leben zum Besseren wenden würden. Ihre Gesellschaft unterhielt ihn stets. Außerdem hatte sie seine Frau zwar nicht besser gekannt als seine anderen Freunde, doch bei ihren ungriechischen Ansichten würde sie nicht geringer von ihm denken, wenn er ihr gegenüber von dem Gefühl des

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