Die Söhne der Wölfin
geteilt hast. Meine Frau aber, ob eingesperrt oder nicht, wußte davon.«
In den nächsten Wochen durchlebte Remus alle Stadien seligen Entzückens und qualvoller Ekstase, die seine erste Liebe für ihn bereithielt. Er war fest überzeugt, Prokne Schritt für Schritt zu erobern, und hätte jede Andeutung, er werde verführt, empört zurückgewiesen. Daß sie eine Hetäre war bereitete ihm abwechselnd folternde Eifersucht und höchsten Triumph. Es gab einen Gönner, der ihre Zeit in Anspruch nahm, doch ihm, Remus, widmete sie sich ohne jeden Gewinn und schickte den anderen sogar manchmal ihm zuliebe weg. Für ihn war sie eine Hetäre im buchstäblichen Sinn des Wortes: eine Gefährtin, eine Freundin, nicht jemand, den man für seine Gesellschaft bezahlte.
Natürlich machte er ihr Geschenke. Er pflückte ihr Blumen, er fand andere Barden als Ulsna, die für ihn Hymnen auf sie dichteten. Als sie das erste Mal die Nacht mit ihm verbrachte, gab er nicht Ruhe, bis er einen Schmied fand, der für ihn einen Armreif, den ihm der ägyptische Herrscher geschenkt hatte, als Halsband für eine Frau umarbeitete. Aber er hatte nie das Gefühl, sich damit ihre Gunst zu erkaufen; er wollte ihr nur zeigen, daß sie ihn glücklich machte.
»Ich weiß nicht, ob das ein guter Einfall war«, sagte Ulsna zweifelnd zu Ilian. Sie hatte nicht mit ihm darüber gesprochen, doch er kannte sie, und er glaubte nicht, daß Prokne einen Jungen wie Remus von sich aus je eines zweiten Blickes gewürdigt hätte. Ilian übersetzte gerade eine weitere ihrer Schriftrollen und stellte den Pinsel, mit dem sie schrieb, in einen kleinen Napf, ehe sie antwortete.
»Es ist eine gute Art für ihn, erwachsen zu werden. Du und ich haben schlimmere kennengelernt.«
Das konnte er nicht abstreiten. Dennoch machte ihm etwas zu schaffen. »Ilian«, meinte er verhalten, »er glaubt, er liebt sie wirklich.«
»Dann beneide ich ihn«, gab sie überraschenderweise zurück.
»Weil er in Prokne verliebt ist?« fragte Ulsna ungläubig.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Weil er verliebt ist.« Sie legte ihr Kinn in beide Hände und stützte die Ellenbogen auf den mit Papyrus bedeckten Tisch, während sie zum Fenster hinausschaute. »Ich habe das nie erlebt, weißt du?«
»Aber...«
»Ich meine«, erklärte sie, »sich in jemanden zu verlieben. Jemandem zu verfallen und alles andere darüber zu vergessen. Man sagt, Liebe sei wie ein Fieber, das im Blut brennt, doch so habe ich sie nie erlebt. Vermutlich ist das ein Glück, aber hin und wieder frage ich mich, wie es wohl gewesen wäre.«
»Es kann noch immer geschehen«, entgegnete Ulsna, von mancherlei Gefühlen bewegt. »Prokne mag gut darin sein, sich dem Alter zu entziehen, aber du bist wirklich noch jung.«
»Ah«, seufzte sie, »doch das wäre Betrug, nicht wahr? Wenn man versucht, Schicksale zu formen, muß man sich an die Regeln halten. Entweder das eine oder das andere.«
Er rührte sich auf dem Schemel, auf dem er saß. »Aber dein Sohn, der doch eines Tages regieren soll, lernt die Liebe kennen, nicht nur das Fleisch, und wenn er entdeckt, daß seine Gefühle nicht wirklich erwidert werden, dann hast du keinen zukünftigen Befehlshaber, sondern einen liebeskranken Jüngling mit gebrochenem Herzen zur Hand.«
»Er wird es überleben«, sagte Ilian, straffte sich und nahm wieder den Pinsel zur Hand.
Seine Freunde beneideten Remus glühend, auch wenn Arkas eine spitze Bemerkung darüber machte, daß eine Frau einen niemals die höheren Gefühle lehren könne, so wie es ein erastes tat, und schon gar keine Hetäre. Da er jedoch erst kurze Zeit vorher Remus bestürmt hatte, Einzelheiten über Proknes Liebeskünste preiszugeben, mangelte es seinem Spott an Überzeugungskraft. Dennoch verzichtete Remus darauf, ihn zu dem Gastmahl einzuladen, das Prokne ihm zu Ehren gab; er wollte jede Möglichkeit ausschließen, daß Prokne beleidigt wurde. Es wurde ein herrlicher Abend. Prokne erwies sich als hinreißende Gastgeberin und brachte es irgendwie fertig, gleichzeitig freundlich und unnahbar zu sein - für alle, außer für Remus.
»Was für ein Glückspilz du doch bist«, sagte Lichas zu Remus, als er Proknes Haus wieder verließ.
Später, als Remus in wohliger Ermattung und von Wein, Liebe und Gelächter beflügelt neben Prokne auf ihrem Lager ruhte, meinte er schläfrig: »Wenn ich erst König bin, dann werde ich dich heiraten, und du wirst der Stern an meiner Seite sein.« Gleich darauf wurde ihm bewußt,
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