Die Söhne der Wölfin
seiner Hütte, als stete Erinnerung an das, was Remus wohl ohne Schwierigkeiten vergessen hatte. Und aus der Asche war, wie in einer ihrer Geschichten, die sie ihm schickte, ein neues Geschöpf geboren worden, um sich über alle anderen zu erheben.
»Mich wundert es, daß du nicht länger mit deinem Bruder geredet hast«, sagte Scaurus zu ihm, während sie warteten. »Wo er doch so lange fort war.«
»Wir haben noch alle Zeit der Welt, um zu reden.«
Wie um die boshaften Scherze des Schicksals zu unterstreichen, sah sie wieder jemand anders zuerst, Scaurus diesmal, und er stieß Romulus in die Seite. »Ich habe noch nie eine Frau auf einem Pferd gesehen«, bemerkte er. »Schau dir das an, Alter.«
»Meine Mutter ist keine Frau«, entgegnete Romulus und starrte ihr entgegen. »Sie ist eine Göttin.«
In der Tat ritt sie, wie Remus auch, aber im Gegensatz zu Remus, der sofort von seinem Pferd sprang und Romulus erneut umarmte, blieb sie im Sattel und blickte zu ihm herab. Sie hatte sich nicht verändert; jeder Zug, jede Geste bis hin zu der Handbewegung, mit der sie sich einige Locken, die ihr ins Gesicht gefallen waren, aus der Stirn strich, waren noch so, wie sie sich in seine Erinnerung gebrannt hatten.
Remus löste sich von ihm und meinte, etwas zu hastig, was verriet, daß er der heiklen Lage gegenüber zumindest nicht völlig blind war: »Ich helfe der Mutter nur schnell aus dem Sattel.«
»Nicht nötig«, gab Romulus zurück, ohne den Blick von ihr zu wenden, trat zu dem Pferd und streckte ihr die Arme entgegen. »Willkommen«, sagte er, »willkommen... Larentia.«
Sie neigte den Kopf, wie um einen Treffer zu würdigen, schwang ein Bein über die Mähne des Tieres, ergriff seine Hände und glitt vom Rücken ihres Reittiers. Es war ihm bewußt, daß der kurze Moment, den sie dabei in seinen Armen lag, ein erstes Mal darstellte. Schließlich hatte er ihre Umarmung bei ihrer früheren Rückkehr zurückgewiesen.
»Es freut mich, dich wiederzusehen, mein Sohn«, sagte sie mit der ruhigen Stimme, die sie ihm gegenüber fast immer anschlug, und trat zurück.
»Da bin ich sicher. Aber nicht so sehr, wie es mich freut.«
»Wir haben ein Festmahl für euch vorbereitet«, sagte Scaurus zu Remus. »Das Ferkel steckt schon am Spieß.«
»Wir haben mehr als das vorbereitet«, unterbrach Romulus, gespannt, ob sie ein Anzeichen der Unruhe preisgeben würde. Sie tat es nicht, und er war zufrieden. Er wollte sie nicht schwächer als früher. Er wollte sie vollkommen in ihrer Selbstsicherheit. Sonst war sie es nicht wert, zerstört zu werden.
»Laß mich es dir zeigen«, fuhr er fort und reichte ihr erneut seinen Arm. Er spürte, wie seine Haut sich zusammenzog, als sie ihre Hand auf ihn legte.
»Es sind keine Krieger aus Alba«, sagte er leise, während er sie zu der Hütte führte, die er mit Faustulus bewohnt hatte und in der er nur noch selten schlief. Remus und Scaurus, die sich um die Pferde kümmerten, traten für ihn in den Hintergrund, verblichen angesichts der Gegenwart seines Traumes.
»Ich weiß«, gab sie zurück, ebenfalls mit gesenkter Stimme. »Nicht so nahe an Tarchna.«
»Was natürlich der Grund ist, warum ich hierhergekommen bin«, pflichtete er ihr bei und stieß den Vorhang zur Seite. Das ausgenommene Ferkel, das am Bratspieß über der Feuerstelle steckte, war das unwichtigste Element an seinen Vorbereitungen. Er hatte die Hütte über und über mit Blumen gefüllt, Feldblumen, Blütenzweigen, die seine Gefährten trotz ihres Murrens über weibische Tätigkeiten für ihn gepflückt hatten, während er Kerzen aus Tarchna geholt hatte, Kerzen, bei denen der Duft des Bienenwachses sich mit anderen Essenzen vermengte. Sie blieb abrupt stehen, und während sie den Anblick in sich aufnahm, spürte er das erste Zittern eines Triumphes in sich. Das hatte sie nicht erwartet. Es war der Schlüssel: eine Strategie zu finden, auf die sie nicht gefaßt, Dinge zu tun, auf die sie nicht vorbereitet war. Er sog es in sich hinein, die geweiteten Augen, den leicht geöffneten Mund, die plötzliche Erstarrung, ehe sie sich wieder fing und erneut in ihren unnahbaren Kokon spann.
»Ich hoffe, es gefällt dir«, sagte er. »Es ist nichts im Vergleich zum Palast von Alba. Aber es ist ein Anfang, findest du nicht?«
»Es ist wunderschön«, erwiderte sie, und wenn er es nicht besser gewußt hätte, dann hätte er geschworen, daß Trauer in ihrer Stimme lag. »Ich habe auch ein Geschenk für dich«, fuhr sie fort
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