Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
sich seinen Unterhalt verdienen und brauchte sich nicht mehr den Kopf zu zerbrechen, warum sie ihm Obdach gewährte.
    Leider beruhigte ihn das keineswegs im Hinblick auf Ilian. Vielleicht hatte Ilian ihn mit ihrem Mißtrauen angesteckt, aber er fragte sich plötzlich, ob Arion erwartete, daß ihm Prokne eine wieder gesundete Ilian in einer Situation präsentieren würde, in der er sich nehmen konnte, was auch immer er von ihr wollte. Vielleicht fürchtete Arion keine Verwünschungen mehr, jetzt, wo er seine Reise hinter sich hatte. Ulsna beschloß, in seinen ersten Vortrag für Prokne ein paar warnende Verse über fluchkundige, mächtige Priesterinnen einzubinden.
    Als er seine Harfe und das Bündel mit seinen paar Habseligkeiten in den Raum stellte, in dem Prokne ihn und Ilian untergebracht hatte, entdeckte er, daß Ilian zwei Ohrringe und einen Opal zwischen seinen Sachen versteckt hatte. Er saß da, spürte das Metall der Fassungen in seine Handflächen schneiden und versuchte ein weiteres Mal, sie zu verstehen. Sollte das eine Hinterlassenschaft sein, weil sie Angst um ihr Leben hatte? Oder rechnete sie einfach damit, daß man seine Sachen nicht durchsuchen würde? Wollte sie ihm damit zeigen, daß sie ihm vertraute, oder war es nur die einzige Sicherheitsmaßnahme gewesen, die ihr eingefallen war?
    Sich zu waschen, wie Prokne es befohlen hatte, erwies sich als schwierig, da er immer noch davor zurückscheute, sich nackt zu zeigen; es galt erst herauszufinden, ob man ihn hier ebenfalls steinigen würde. Schließlich schlich er sich zum Meer, fand eine abgelegene Stelle und schwamm. Anschließend war sein abgerissener Chiton zwar steif von Salzwasser, doch Prokne würde keinen Grund mehr haben zu behaupten, er stinke.
    Als er zurückkehrte, fand er sie dabei vor, Ilian ein strengriechendes Kräutergemisch einzuflößen, was ihn überraschte. Er hatte sich vorgestellt, daß sie die Pflege Ilians ihm und ihren Dienerinnen überlassen würde.
    »Wann?« fragte sie gerade, und Ilian erwiderte leise, aber verständlich: »Zu Beginn des Frühlings.«
    »Dann ist es ein Wunder, daß du überhaupt soweit gekommen bist«, stellte Prokne kopfschüttelnd fest. Ulsna mußte ein Geräusch gemacht haben, denn sie schaute plötzlich zu ihm hin und sagte scharf: »Wessen Idee war das eigentlich, deine Herrin so bald nach der Geburt ihres Kindes auf Reisen zu schicken?«
    Dazu hätte er einiges sagen können, angefangen damit, daß Ilian nicht seine Herrin war. Es erwies sich als unnötig.
    »Meine«, entgegnete Ilian und hustete, bis sie wieder Atem geschöpft hatte. »Und Ulsna ist nicht mein Diener. Oder mein Sklave. Er ist ein freier Rasna.«
    Prokne neigte den Kopf mit den sorgfältig aufgetürmten rötlichen Locken zur Seite. »Willst du damit sagen, er sei ein freier Mann... oder eine freie Frau?«
    Ulsna konnte ein bestürztes Aufkeuchen nicht unterdrücken, und Prokne lachte. »Dachte ich es mir doch. Ich habe ein paar wie dich kennengelernt. In Athen könntest du ein Vermögen machen, aber hier in Korinth ist es wirklich besser, wenn du dich für ein Geschlecht entscheidest. Aber - wer will schon freiwillig eine Frau sein?«
    Ulsna, der geschult darin war, zu hören, was in jeder Silbe mitschwang, war verdutzt über den Anflug von Bitterkeit. Es brauchte keinen sonderlich klugen Beobachter, um zu erkennen, daß Prokne dank ihrer Weiblichkeit zu Reichtum gelangt war. So merkwürdig ihre Augen und ihre Haarfarbe ihm auch vorkamen, er war bereit zuzugestehen, daß sie über einen schönen Körper verfügte. Die kretische Tracht, die sie trug, der enge Stufenrock und das festanliegende Oberteil, das die Brüste einfaßte und emporhob wie das Meer seine Inseln, machte es unmöglich, dies zu übersehen. Er verstand nicht, welchen Grund zur Unzufriedenheit sie haben konnte, und war noch dabei, sich eine Antwort zu überlegen, als Ilian nach einem weiteren Schluck aus dem Becher, den ihr Prokne gereicht hatte, sprach.
    »Bist du deswegen eine Hetäre geworden?«
    Prokne zuckte die Achseln. »Es ist ein gutes Leben.«
    Es blieb nicht das letzte Gespräch dieser Art. Während Ulsna in den folgenden Tagen darauf wartete, daß Arion wie versprochen nach ihm schickte, damit er auf seiner Feier spiele, flatterte Prokne in unregelmäßigen Abständen wie ein Schmetterling an Ilians Krankenlager, spielte eine Zeitlang die Pflegerin und verschwand dann wieder. Manchmal kam sie, um Ulsna zu befehlen, für sie zu singen. Bei dem ersten

Weitere Kostenlose Bücher