Die Söhne der Wölfin
daß sie ihren Zustand lange hätte verbergen können, zumal sie bei den gemeinschaftlichen Mahlzeiten kaum mehr etwas aß, was früher nie der Fall gewesen war, selbst zu Beginn der Reise nicht, als ihr und Ulsna so oft schlecht wurde. Als Arion Ulsna dabei ertappte, wie er Ilian feuchte Tücher um die Beine wickelte, obwohl ein frischer Wind wehte, war er ernsthaft beunruhigt.
»Mach dir keine Sorgen«, erklärte Ilian mit etwas heiserer Stimme, als lese sie seine Gedanken. »Der Sturm wird erst losbrechen, wenn wir in Korinth sind. Die Götter haben es mir versprochen.«
»Und warum haben sie dir dann ein Fieber geschickt?« Ihre großen, dunklen Augen ließen ihn nicht los, während sie sich vorbeugte und ihn küßte. Einen kurzen Moment lang spürte er ihre Lippen, die nach dem Salz des Meeres schmeckten und, ob nun durch die Reise oder das Fieber, rauher als bei einer Frau üblich waren, dann sank sie wieder auf den Stoffballen zurück, an dem sie lehnte.
»Um dich zu prüfen, Arion aus Korinth. Um dich zu prüfen.« Als Fremde in Korinth ein zweistöckiges Haus zu besitzen war ein Zeichen von unerhörtem Wohlstand. Als die Hetäre Prokne aus Athen vor zwei Jahren die Möglichkeit gehabt hatte, es zu erwerben, war es für sie der beste, unwiderlegbare Beweis ihres Erfolges und für einen Teil der Einwohner ein Zeichen für den Niedergang der Sitten gewesen. Dabei hatte Prokne nichts Ungesetzliches getan. Ihr Vetter, ein gebürtiger Bürger der Stadt, hatte das Haus gebaut und verwaltete es für sie. Niemand konnte offiziell behaupten, daß eine Frau, noch dazu eine Fremde, Grund besaß. Doch jeder wußte, womit Haus und Boden erworben worden waren und wem das zinnoberrote Gebäude wirklich gehörte.
Es hatte schon vor Prokne Hetären in Korinth gegeben, doch soweit es Prokne betraf, hatte es sich dabei nur um Huren gehandelt, die sich wohlklingendere Namen gaben, um höhere Preise herauszuhandeln. Sie selbst hatte ihr Gewerbe in Athen gelernt, wo diese Frauen kaum zu Dienerinnen einer Hetäre getaugt hätten. Nicht, daß es sie gestört hätte. Schließlich war sie in das reiche Korinth gekommen, um ihr Glück zu machen, und je weniger echten Wettbewerb es gab, desto besser für sie.
Prokne hatte gerade erst eine lange und gewinnbringende Affäre mit Demetrios aus dem Haus der Bakchiaden hinter sich gebracht, der ihr selbst zum Abschied noch eine Kette aus ägyptischem Elektron um den Hals gehängt hatte. Sie wußte noch nicht, wen sie als nächstes erhören würde, doch die Auswahl war beträchtlich. In angenehme Gedanken an mögliche Nachfolger für Demetrios versunken, hörte sie zuerst kaum, daß ihre Dienerin etwas von unerwarteten Gästen plapperte, die bei dem Türwächter einigen Aufruhr verursachten.
Schließlich drangen die Worte des Mädchens in ihr Bewußtsein. Wie es schien, war einer der Neuankömmlinge Arion. Sie seufzte. An und für sich mochte sie Arion, und da er der eromenes ihres Vetters gewesen war, schuldete sie ihm ohnehin zumindest Höflichkeit, doch sie hatte noch nichts über seine Rückkehr gehört, was bedeutete, daß er noch nicht lange wieder in Korinth sein konnte. Um so bald nach seiner Ankunft zu ihr zu kommen, mußte er wohl Vergessen suchen, was hieß, daß seine Reise ein Mißerfolg gewesen war.
Mit einem bedauernden Lächeln auf den Lippen wies sie ihre Dienerin an, Arion und seine Begleitung hereinzuführen und danach den Wein, den sie ihnen vorsetzen würde, so zu mischen, daß sie bald wieder gingen. Dann überprüfte sie ihre Erscheinung in dem kleinen Handspiegel, dessen gehämmerte Bronze aus dem Land stammte, das Arion offenbar erfolglos besucht hatte, und erwartete sein Eintreten.
Es bedurfte nur eines Blickes, um zu erkennen, was ihren Türwächter so beunruhigt hatte. Statt seiner üblichen Gefährten hatte Arion ein Mädchen bei sich, das völlig verwildert aussah und wirkte, als könne es sich kaum noch auf den Beinen halten. Es hatte am Vormittag zu regnen begonnen, und alle drei Besucher waren so durchnäßt, daß Wasser auf die Binsen tropfte, mit denen Prokne den Fußboden hatte auslegen lassen. Der Knabe, auf den sich das junge Ding stützte, sah auch nicht viel besser aus. Was Arion selbst betraf, so hatte er sich hier noch nie so ungepflegt gezeigt. Es kostete Prokne einiges an Selbstbeherrschung, um ihr Lächeln beizubehalten, während sie sich fragte, ob Arion am Ende gar Schiffbruch erlitten hatte.
Er ließ sie nicht lange im unklaren. Was sie
Weitere Kostenlose Bücher