Die Söhne.
Sterben.« Dorion sah, daß er verändert war, um vieles älter. Sie kannte gut solche Müdigkeit. In solcher Müdigkeit und Vernichtung war sie im Atelier ihres toten Vaters gesessen, die Skizzen zu den »Versäumten Gelegenheiten« an den Wänden. In ihrem Kopf waren uralte ägyptische Verse:
Der Tod steht heute vor mir Wie der Duft von Myrrhen, Wie das Sitzen unterm Segel bei gutem Wind.
Der Tod steht heute vor mir
Wie ein Weg im lieben Regen,
Wie die Heimkunft des Mannes im Kriegsschiff.
Der Tod steht heute vor mir
Wie der Anblick des Heimathauses,
Wenn einer viele Jahre gefangen war.
»Ich bedauere«, sagte sie, »daß du hast leiden müssen. Auch ich habe einiges durchgemacht. Aber es hat keinen Zweck, wenn du immer das gleiche wiederholst. Ich habe dich bitten lassen, weil ich mich mit dir vertragen will. Ich habe einen vernünftigen Vorschlag. Man sagt mir, du läßt ein jüdisches Götterhaus bauen und brauchst Geld dazu. Ich habe Geld. Ich möchte dir deinen Freigelassenen Phineas abkaufen.«
Josef beschaute ihr dünnes Gesicht. Ihre hellen Augen waren ganz ruhig. Wenn dies Hohn war, spielte sie ihn meisterlich aus. Er ging.
Sogleich nach seiner Rückkehr gab er dem Phineas Weisung, sich nach Albanum zu begeben und sich zur Verfügung Dorions zu halten.
Unvermutet erschien der Verleger Claudius Regin bei Josef und erkundigte sich, wie er mit der Arbeit vorankomme. »Ich kann jetzt nicht arbeiten«, erklärte gereizt Josef. »Ich finde«, erwiderte mit seiner fettigen Stimme Regin, »arbeiten ist das einzige, was man in dieser Zeit tun kann. Aber natürlich, Sie haben Ihren Phineas nicht«, fuhr er bösartig fort. Josef fand seinen Besucher dick, schlaff, gealtert. Er versagte sich die scharfe Antwort, die er auf der Zunge hatte. Immer zwar ärgerte er sich über Regin, aber er wußte, daß der einer der wenigen war, die ihm wohlwollten.
Regin setzte sein unwirsches Gequäke fort: »Der Herr spart sich die Arbeit. Andernteils ist der Herr großzügig. Der Herr macht der Dame Dorion Geschenke; wenn sie sich einen Stuhl neu überziehen will, schneidet er sich das Leder aus der eigenen Haut. Man sagt sich: wenn es gar nicht mehr weitergeht, wird der alte Regin schon Rat wissen. Man hat ja auch recht. Am Ende zahlt er, der Tölpel. Wissen Sie, daß dieses Kleid jetzt ins fünfte Jahr geht?«, und er wies zornig auf sein lotteriges Gewand. »Mit dem Kaiser kann man auch nicht reden«, schimpfte er weiter. »Der Mann ist ein krankhafter Verschwender. Ich sehe nicht mehr, wie ich das Budget ausgleichen soll. Am liebsten würde ich mich mit Johann von Gischala nach Judäa zurückziehen und Landwirtschaft treiben.«
Sie saßen jetzt beide verdrießlich da. »Sie wissen«, fing schließlich Josef an, »wie meine Prozesse stehen. Ich habe meine Gegner lahmgelegt, aber ich selber komme auch nicht weiter. Ich kriege den Jungen nicht heraus. Können Sie mir einen Rat geben?«
»Es ist ärgerlich«, erwiderte Regin, »daß Titus nicht mehr zu einem Entschluß zu bringen ist. Man kann keine Unterschrift von ihm erlangen. Das Reich läuft weiter. Die Gelder, die Vespasian und ich aufgestapelt haben, sind nicht so bald erschöpft: aber die Räder laufen immer langsamer und knarren immer lauter. Daran liegt es. Darum kriegen Sie Ihren Paulus nicht.«
»Dunkel«, zuckte Josef die Achseln.
»Sie sind langsam von Begriff«, tadelte Claudius Regin, »für einen Mann, der an der Hochschule von Jerusalem studiert hat. Natürlich möchte Großrichter Arulen Ihnen Ihren Paulus mit dem größten Vergnügen absprechen. Aber er wagt nicht, Ihnen unrecht zu geben, und wagt auch nicht, Ihnen recht zu geben. Denn sosehr er die Ohren spitzt, vom Palatin her hört er kein Ja und kein Nein. Er hat es nicht leicht, der Großrichter Arulen.«
»Sie meinen«, fragte Josef, »ich sollte den Versuch machen, Titus zu einer Willensäußerung zu bewegen?«
»Sie haben Ihren geringen Diener und Schüler mißverstanden, mein Doktor und Herr«, sagte gallig Claudius Regin und wandte die umständlichen aramäischen Höflichkeitsformeln an. »Ich habe lediglich die Situation analysiert, ich habe Ihnen keinen Rat gegeben. Wissen Sie, wie eine Willensäußerung des Kaisers ausfällt? Ich weiß es nicht. Ihre Gegner wissen es auch nicht.«
»Ich glaube nicht, daß Titus mein Feind ist«, sagte nachdenklich Josef.
»Wissen Sie, ob er Ihr Freund ist?« fragte Regin zurück.
»Er hat
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