Die Söhne.
beschlossen werden sollte, die Krone kein Veto einlegen werde.
Die Formalitäten der Adoption waren langwierig, aber Großrichter Arulen ging mit einemmal wie mit acht Pferden aufs Ziel los. Ohne daß ein Wort darüber gesprochen worden wäre, wußten plötzlich alle Maßgebenden, worum es ging: der Kaiser konzedierte der Opposition das Gesetz über die Beschneidung, aber er wünschte, seinen Juden Josef diesem Gesetz nicht zu unterstellen. Das war ein großartiges Geschäft für die Opposition; die Überlassung des Knaben Paulus an den Juden war durch den Verzicht des Kaisers auf das Veto tausendmal wettgemacht. Nachdem Arulen einmal im Bilde war, ließ er kein Verzögerungsmanöver mehr durchgehen.
Dorion raste. Sie begriff nicht, was um sie vorging. Vor zwei Wochen noch hatten ihre Freunde ihr versichert, die Dinge könnten nicht besser stehen, und jetzt von einem Tag zum andern sollte alles verloren sein? Als man sie vorlud, vor dem Hundertgericht den Verkauf ihres Sohnes Paulus vorzunehmen, schäumte sie. Dann weinte sie. Dann erklärte sie, sie sei krank. Aber es nutzte nichts. Es kam der Tag, da sie trotz allem mit Paulus in der Julischen Halle erscheinen mußte.
Die Lanze war aufgepflanzt, Erz und Waage war da, und der verhaßte Marull war da. Man fragte sie, ob sie gewillt sei, diesen ihren Sohn Paulus mit Erz und Waage an diesen Junius Marull zu verkaufen. Marull rührte die Schulter des Knaben mit dem kleinen Stabe, mit der verlängerten Hand, und übernahm ihn in seine Mund. Dreimal wiederholte sich der unwürdige Vorgang, dreimal mußte die tief Ergrimmte ihn über sich ergehen lassen. Blaß, das innere Zittern nur mit Mühe verbergend, stand Paulus da. Er hatte unter dem Aufsehen, das sein Prozeß machte, unsäglich gelitten, sein Stolz bäumte sich wild auf gegen das lächerliche Schauspiel, dem er jetzt den Helden abgeben mußte.
Als dies vorbei war, trat Josef als Kläger auf. Er klagte auf Übergabe des Knaben Paulus in seine Gewalt. Der Richter fragte Dorion, ob sie etwas gegen die Überstellung des Knaben Paulus an den hier anwesenden Flavius Josephus einzuwenden habe. Dorion schwieg. Der Liktor schaute nach der Wasseruhr, bis eine Minute vergangen war. Diese ganze Minute mußte Dorion dastehen und schweigen. Josef genoß dieses Schweigen. Es war ein ungeheurer Triumph für ihn, daß Dorion danebenstehen und schweigen mußte, nun er seinen Sohn für sich verlangte; seine Klugheit und Gottes Gnade hatten es so gefügt. Aber er versagte es sich – und vielleicht war dies sein größter Triumph –, Dorion anzuschauen, während sie stand und schwieg.
Dann stellte der Liktor fest: »Die Gefragte schweigt«, und der Richter stellte fest: »Die Gefragte schweigt«, und erklärte: »So trete ich dem Anspruch des Klägers bei und überstelle diesen Knaben Paulus seiner Gewalt.« Und Josef rührte die Schulter des Paulus mit der verlängerten Hand und nahm den Blassen, der mit verpreßten Lippen dastand, mit sich zurück in das Haus im sechsten Bezirk.
Die Sitzung des Senats, in welcher der Antrag des Großrichters Antist über das Verbot der Beschneidung, das »Gesetz gegen die Juden«, wie die Massen es nannten, beraten werden sollte, fand am ersten Februar statt. Es war ein klarer, kalter Tag, und voraussehend, daß die Sitzung lange dauern werde, hatte man den Senat schon für den frühen Morgen einberufen; denn Beschlüsse hatten Gültigkeit nur dann, wenn sie in der Zeit nach Sonnenaufgang und vor Sonnenuntergang gefaßt worden waren.
Noch in der Dunkelheit hatte sich vor dem schönen, großen Gebäude des Friedenstempels, wo der Senat bei wichtigen Anlässen tagte, eine große Menge angesammelt. Vor allem vom rechten Tiberufer waren Tausende gekommen. Selbst diejenigen, die sich vor der Zerstörung des Tempels wenig um die Riten gekümmert hatten, begannen jetzt ihr Herz daran zu hängen. Nun das Haus Jahves nicht mehr stand, wurden die Bräuche für das Judentum, was der Körper für den Geist ist; hörten die Bräuche auf, dann hörte auch das Judentum auf. Die Beschneidung gar, die fleischliche Besiegelung des Bundes zwischen Jahve und seinem Volk, galt den Juden als Grundmerkmal ihrer Nation und ihres Wesens. Die Beschneidung, lehrte Philo, der größte jüdische Philosoph des Jahrhunderts, hemme die fleischliche Lust, auf daß die Triebe des menschlichen Herzens nicht zügellos würden. Denn wie dem Weinstock, so sei es auch dem Menschen bestimmt, sich über den
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