Die Söhne.
von der Natur gegebenen Zustand hinaus zu veredeln; durch die Beschneidung aber zeige der Mensch seine Bereitschaft, den ihm eingeborenen Rohstoff an Willen gemäß dem höheren Willen Jahves zu formen. Alle, auch die Lauesten, stimmten darin überein, daß die Beschneidung das heilige Volk Gottes aus der Mitte der gemeinen Menschen heraushob. Und daß man Staat und Tempel zerstört hatte, schien ihnen nicht so unheilvoll, als daß man jetzt plante, auch ihren Bund mit Jahve zu zerstören.
In großer Erregung also standen sie vor dem Friedenstempel. Daß das Gesetz durchgehen werde, war sicher; doch alles, ihre nationale Existenz, hing davon ab, welche einschränkenden oder erweiternden Bestimmungen der Senat beschließen werde. Der Kaiser hatte erklärt, er billige das Gesetz im Prinzip; die rechte Form zu finden sei Sache der Berufenen Väter. Niemand aber konnte voraussehen, welche Form diese wählen würden. Die Stellung der Parteien und der einzelnen Senatoren war sonderbar verquert und verkreuzt. Die Krone stand diesmal auf Seiten der traditionellen, republikanischen Opposition, während die liberalistischen Anhänger der Monarchie Gegner des Gesetzes waren.
Weiß und großartig, als es dämmerte, hob sich das riesige Gebäude des Friedenstempels inmitten seiner Kolonnaden. Die Menschenmassen ringsum hüllten sich in die Kapuzen ihrer Mäntel, zündeten auf den Straßen, in den Wandelhallen Feuer an. Es schien immer kälter zu werden. Man hatte selbst die Statuen vor dem Gebäude mit großen Tüchern bedeckt, daß der Marmor nicht springe.
In das Innere des Tempels hatten nur diejenigen Zutritt, die mit einer besondern Erlaubnismarke ausgestattet waren. Die Senatoren trafen ein, frostzitternd, kleine, mit heißem Wasser gefüllte Behälter in den Ärmeln, ohne Sänfte, sie mußten sich dem Brauch zufolge zu Fuß in den Senat begeben. Mit Mühe erkämpften ihre Diener und die Polizisten den einzelnen den Zutritt in das Gebäude. Viele wurden von den Massen erkannt. Man begrüßte sie mit freundlichen, manche auch mit bissigen Zurufen; es fiel nicht jedem leicht, das kritische Spalier mit geziemender Würde zu passieren.
Trotzdem auch die inneren Räume menschengefüllt waren, wirkten sie nach dem Lärm des Flavischen Forums still und weit. Man hatte Kohlenbecken angezündet. Es half nicht viel, die Hitze ging nach oben, der Fußboden blieb kalt, und die Senatoren in ihren hohen, unbequemen, prunkenden Schuhen traten von einem Fuß auf den andern und sehnten sich nach der Zentralheizung ihrer Häuser. Kalt, voll unbehaglicher Drohung, standen ringsum die Bildwerke, hingen die Gemälde, mit denen Vespasian das mächtige, ihm zu Ehren errichtete Haus geschmückt hatte, die Riesenstatue des Nil mit seinen sechzehn Genien, der von der Schlange umwundene Laokoon, das Gemälde der Alexanderschlacht, das kostbarste der Welt, das den Triumph verherrlichte, den Europa über Asien erfochten. Frostig und golden prunkten an sichtbarster Stelle die Trophäen des großen Krieges der Flavier, des jüdischen Krieges, die dreiundneunzig heiligen Geräte des Tempels von Jerusalem, die Schaubrottische, der siebenarmige Leuchter. Alles in diesen Räumen mußte die Senatoren daran erinnern, daß Vespasian und sein Sohn den Sieg des Westens über den Osten vollendet hatten, daß Friede in der Welt und daß dieser Friede römisch war: und Titus und sein Vater hatten ihn geschaffen.
Jeder einzelne der Senatoren, bevor er in den Sitzungssaal
ging, trat vor die Statue der Friedensgöttin, ihr Weihrauch und Wein darzubringen. In stiller Glorie hob sich die Statue, eingesäumt aber war sie von den Standbildern des alten Kaisers und des Titus, auf daß jeder, der ihr opferte, erkenne: diese beiden Männer waren die Schirmherren der Friedensgöttin, ohne sie stünde sie bloß und ungeschützt. Manche unter den republikanischen Senatoren beneideten den jüdischen Titularkönig Agrippa, den alten Tiber Alexander, früheren Gouverneur von Ägypten, und die vier anderen jüdischen Herren des Senats, die es sich erlauben durften, ohne Opfer an dem Bild dieser Friedensgöttin vorbeizugehen.
Sechshunderteinundachtzig Senatoren gab es. Fünfhundertsiebenundsiebzig waren stimmberechtigt. Lange vor Sonnenaufgang schon war die Ehrenhalle des Tempels gefüllt von den Berufenen Vätern. Sie standen herum in ihren Purpurmänteln und Purpurkleidern, flackernd belichtet von den vielen noch brennenden Leuchtern und von den
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