Die Söhne.
Mann. Die letzten Jahre waren hart für ihn gewesen, und der Tote trug die Schuld daran. Der Tote war es, der ihm die Gelegenheit genommen hatte, sich seinem Publikum zu zeigen, er hatte ihn gezwungen, seinen Titel Erster Schauspieler der Epoche an andere abzugeben. Klingt es nicht heute schon fast wie ein Märchen, daß man einmal Polizei und Militär hat aufbieten müssen, um die Unruhen zu dämpfen, die seine Pointen hervorgerufen haben? Unter dem neuen Kaiser, unter Titus, dem Freund der jüdischen Prinzessin, wird das anders werden. Die Nichtskönner, die Favor, die Latin, werden nicht länger Gelegenheit haben, einen Demetrius Liban in den Schatten zu stellen.
Da lag er, der Tote, der Feind. Er weiß nicht, was er ihm angetan hat. Wahrscheinlich hat er es auch bei Lebzeiten nicht gewußt. Für ihn war die Sache einfach gewesen: die Massen sehen es nicht gern, daß der Kronprinz mit einer Jüdin liiert ist, folglich zeigt der Kaiser, daß er diese Liaison nicht billigt, daß er die Juden nicht mag, und läßt den jüdischen Schauspieler nicht ans Licht. Von Kunst hat er nichts verstanden, der Bauer, der Emporkömmling. Wahrscheinlich hat er nicht die leiseste Ahnung gehabt, was er ihm, dem Demetrius, angetan hat. Woher auch soll ein Klotz wie der gewußt haben, was alles er anrichtete mit seiner albernen Politik? Nie hätte der begriffen, was es heißt, zuschauen müssen, wenn ein anderer an einer Rolle herumstümpert, die man selber in höchster Vollendung hätte schaffen können. Man erstickt an dem Grimm über die verpaßten Gelegenheiten. Welche Gefahren hat er auf sich nehmen müssen, um nur überhaupt zu einer Rolle zu kommen. Da hat einmal der alte Helvid, der Führer der Antikaiserlichen im Senat, der jetzt hingerichtete, ein freches Stück geschrieben, einen »Cato«, und dieses Stück in seinem Hause geladenen Gästen vorführen wollen. Welche Kämpfe hat er, Demetrius, durchgemacht, ehe er sich entschlossen hat, darin zu spielen. Es bedeutete Lebensgefahr, in dieser dem Regime feindlichen Aufführung aufzutreten, er war kein kühner Mann, und dabei war ihm die Rolle nicht einmal gelegen.
Still, gesammelt, ehrerbietig stand er vor dem Toten, aber in seinem Innern, stürmisch, haderte er mit ihm. Jetzt, du Toter, kannst du mich nicht mehr hindern, jetzt tauche ich wieder empor. Jung bin ich nicht mehr, einundfünfzig, der Beruf verbraucht einen. In vier langen Jahren habe ich ganze fünf Rollen gespielt, man kommt aus der Übung, man verliert den Kontakt mit dem Publikum. Aber ich habe trainiert, ich habe Diät gehalten, ich schaffe es. Du bist tot, du bist ein »Gott«, aber ich bin der lebendige Schauspieler Demetrius Liban, und wenn es darauf ankommt, dann mache ich noch immer Statuen lachen, wie der alte Seneca einmal von mir gesagt hat. Paß auf, der Neue, dein Sohn, der versteht mehr als du von der Kunst, der läßt mich hinauf. Vor zwölf Jahren, im Trauerzug der Kaiserin Poppäa, habe ich die Karikatur der Poppäa gespielt, das war was, das war eine Leistung. Jetzt wird man mich an dich heranlassen. Ich werde Sie spielen, Majestät, bei Ihrem Leichenbegängnis, ich, nicht der Favor. Es ist noch nicht gewiß, ich sollte es noch nicht Wort werden lassen, noch nicht einmal Gedanke. Leider ist kein Holz da, an das ich klopfen könnte. Ob ich wohl an den Katafalk vor kann und klopfen? Nein, das geht nicht, übrigens ist er ja auch nicht aus Holz. Aber sie werden mir die Rolle geben. Jetzt, nachdem du tot bist, besteht kein Grund mehr, sie mir nicht zu geben. Ich bin der, der es am besten macht, die Rolle gehört mir, das ist klar, alle sehen es. Man muß mir sehr feind sein, um es nicht zu sehen, und Titus ist mir nicht feind. Und wie werde ich dich spielen, was werde ich aus dir herausholen, du Kaiser, du Gott, du Toter, du Judenfeind.
Der Schauspieler Demetrius Liban betrachtet den Toten, verhüllten Hauptes, ehrerbietig. Aber seine Augen sind nicht ehrerbietig. Bösartig durchforschen sie das Gesicht des Kaisers, spähen, was daran zum Lachen reizen könnte, erblicken, was die andern nicht sehen, die Spuren seines harten Geizes, den scharfen Kontrast zwischen seiner hausbackenen Art, seiner Nüchternheit, seiner bäurischen Derbheit und dem zeremoniösen Prunk seiner Stellung. So lange hast du mich in den Schatten gedrängt, während meiner besten Jahre hast du mich kaltgestellt. Aber jetzt bin ich daran. So, wie ich dich machen werde, wirst du im Gedächtnis der Menschen fortleben.
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