Die Söhne.
Hoffnung, daß bald der Messias in seiner Glorie erscheinen und die blinden Völker dem sehenden Volke unterwerfen werde. Sie starrten nach dem zerstörten Jerusalem, und das Jerusalem, das nicht mehr war, band die Juden, die im Lande Israel und die Verstreuten über die ganze Welt, enger zusammen als jenes Jerusalem, das einstmals weiß und golden und allen sichtbar den Tempel Jahves beherbergt hatte.
Schon lange vor Tag drängten sich die Juden auf dem Vorderdeck der »Gloria« zusammen; man hatte ihnen gesagt, an diesem Morgen würden sie die Küste Judäas auftauchen sehen. Gespannt schauten sie in den dämmernden Osten. Die meisten hatten den schwarzgestreiften, viereckigen Gebetmantel umgeworfen mit den kostbaren, purpurblauen Fäden und um Stirn und Arme die Gebetriemen geschlungen. Lange sahen sie nichts als wolkigen Dunst. Dann tauchten zarte, violette Umrisse hoch: ja, das war das violette Gebirge Judäas. Und jetzt auch unterschied man den grünen Gipfel des Berges Karmel. Sie atmeten stärker, ihr Herz ging schneller. Die Luft, die von ihrem Land herüberwehte, war anders als sonstwo immer, leichter, tiefer, reiner, sie machte das Hirn rascher, die Augen glänzender. Inbrünstig beteten sie den Segensspruch: »Gelobt seist du, Jahve, unser Gott, der du uns hast erreichen, erlangen, erleben lassen diesen Tag.«
Der Schauspieler Demetrius Liban hatte schwere Wochen hinter sich. Die meiste Zeit war er seekrank, grünblaß, in Krämpfen in seiner Kajüte gelegen, sich sehnend nach Tod. Aber nun er das Ziel vor sich sah, spürte er, er hatte die Wallfahrt zum Lande Jahves nicht zu teuer bezahlt.
Josef hielt sich abseits von den andern, doch ohne Prätention. Aber er schaute mit nicht weniger brennenden Augen hinüber nach dem blassen, violetten Glanz, sog nicht weniger gierig die leichte, erregende Luft ein. O ihr zarten Linien der Berge, o du höchst klares Licht, holde Küste, grüner Berg Karmel, o du mein Land, berückendes, zauberhaftes, Israels Land, Gottes Land.
Auch die Römer und Griechen an Bord, hohe Beamte und Offiziere, reiche Kaufleute, hatten sich allmählich versammelt, um die Küste näher kommen zu sehen. Lächelnd, hochmütig schauten sie auf die Gruppe der erregt gestikulierenden Juden, auf die »Eingeborenen«.
Als die »Gloria« endlich im Hafen von Cäsarea ankerte, kam Polizei an Bord und sonderte die Römer und Griechen von den Juden. Jene konnten sich unbehelligt ausschiffen, die Juden mußten warten und viele umständliche Formalitäten über sich ergehen lassen. Nur unter scharfer Bewachung durften sie an Land, ihre Namen wurden notiert, den meisten wurde nicht erlaubt, länger als eine Nacht in Cäsarea zu bleiben.
Josef und Demetrius Liban hatten Pässe, die die Behörden zu besonderer Rücksicht aufforderten. Trotzdem durften auch sie das Gebäude der Hafenpolizei zunächst nicht verlassen, und für ihre Beschwerden hatte man nur grobe Worte. Josef war auf dieser Reise einfach gekleidet, und mit dem Bart, den er sich wieder hatte stehenlassen und der nicht, wie früher, geknüpft und gekräuselt war, sah er sehr jüdisch aus.
Endlich erschien der Adjutant des Gouverneurs, um sich ihrer anzunehmen. Er war überaus höflich und verwies den Hafenbeamten ihre Barschheit. Die murrten, als er sich entfernt hatte, und schikanierten die zurückbleibenden Juden um so mehr.
Des Abends, bei Tische, es waren noch eine Reihe höherer Beamter und Offiziere da, gab sich der Gouverneur jovial und lärmend wie immer. Er hatte in den letzten Monaten für sein Buch über die Juden die Werke des Philo von Alexandrien studiert, des großen jüdischen Philosophen. »Er war sehr human, euer Philo, das muß man ihm lassen«, meinte er, »noch humaner als unsere Stoiker. Haben Sie schon gemerkt, daß immer diejenigen am lautesten von Humanität schreien, die im Verlieren sind?« Er lachte auf seine offene Art und klopfte dem Josef auf die Schulter. »Er führt alle eure Lehren auf eine einzige goldene Regel zurück, euer Philo: ›Tu nicht einem andern, was du nicht willst, daß man dir tue.‹ Klingt gut. Aber wohin, glauben Sie, käme ich mit solchen Grundsätzen? Wenn ich euch nicht täte, was ich mir von euch aufs strengste verbitten müßte, glauben Sie nicht, wir hätten morgen einen zweiten Aufstand, und einen siegreichen? Vielleicht wird sich einmal derjenige, der in hundert Jahren als mein Nachfolger hier in diesem Hause sitzt, erlauben dürfen, human zu sein.
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