Die Söhne.
Lauf des Jahrhunderts als falsche Propheten vor Gericht gezogen hatte; doch von dem Jesus der Minäer hatte er nichts gehört. Dieser Jesus sollte unter dem Gouverneur Pontius Pilatus gekreuzigt worden sein. Aber wenn er gekreuzigt worden war, konnte kein jüdischer Gerichtshof ihn verurteilt haben; die Kreuzigung war eine Strafe, die nur die Römer verhängten. Wäre er von den Juden als falscher Messias verurteilt worden, dann hätten diese die Exekution selber vorgenommen, und zwar durch Steinigung; so war es das Gesetz. Pontius Pilatus, das war richtig, hatte einen Samariter kreuzigen lassen, der sich für einen Abkömmling Moses, des Gesetzgebers, und für den Messias ausgegeben und erklärt hatte, ihm eigneten uralte, heilige Gefäße, die sein Stammvater auf dem heiligen Berge Garizin vergraben habe. Vielleicht, daß die Minäer Züge von andern Messiassen auf diesen Mann übertrugen.
Auf alle Fälle benützte Josef, der Historiker, seinen Aufenthalt in Galiläa, um nach Spuren jenes Jesus der Minäer zu suchen. Er fragte hier und dort. Er fragte in Nazareth, wo der Mann geboren sein sollte, er fragte am See Genezareth. Aber in Nazareth und am See Genezareth sagten sie: »Hier ist nichts bekannt«, und in Magdala sagten sie: »Hier ist nichts bekannt«, und »Hier ist nichts bekannt«, sagten sie in Tiberias und in Kapernaum.
In Kapernaum kam Josef an einer Schenke vorbei, einem vernachlässigten Haus, an dem eine Fahne herausgesteckt war, das Zeichen, daß neuer Wein eingetroffen sei. Josef erinnerte sich, vor Zeiten einmal in dieser Schenke gewesen zu sein und damals mit Galiläern von dem Messias gesprochen zu haben. Er trat ein.
Es war der gleiche, niedrige Raum wie damals, schlecht gelüftet, und wie damals saßen Leute an dem großen Tisch. Der Wirt war ein anderer, und die Leute waren andere, aber sie diskutierten wie damals.
Sie sprachen schwerfällig, in plumpem Aramäisch, die Sätze kamen langsam aus ihrem Mund, doch sie schienen erregt. Einer – »Käsesohn« nannten ihn die andern, das war offenbar ein Spitzname – hatte berichtet, es sei bei dem Gemeindevorsteher eine neue, strenge Weisung der Doktoren aus Jabne eingetroffen, am Sabbat werde sie verlesen werden. Die in Jabne wollen jetzt in aller Form verbieten, daß man Geflügel in Milch zubereite, das Fest- und Lieblingsgericht Galiläas.
Die Männer schimpften. Seit Jahrhunderten ist Streit darüber, ob das Verbot, Fleisch in Milch zu kochen, auch für Geflügel gelte oder ob Geflügel gleich Fischen eine Nahrungsart für sich sei. Immer wieder hatte Jerusalem den Galiläern ihr Huhn in Sahnensauce verbieten wollen; aber so streng die galiläischen Bauern alle andern Riten einhielten, in diesem Punkt blieben sie starrköpfig. Es war ein altes Privileg, sie ließen es sich nicht nehmen, mochte man sie deshalb noch so oft als dumme Bauerntölpel beschimpfen. Was Jerusalem ihnen nicht hat abtrotzen können, sollen sie sich das jetzt von Jabne verbieten lassen? Die Doktoren wollen keine Vernunft annehmen. Seitdem kein Tempel und keine Staatsgewalt hinter ihnen steht, verlangen sie immer mehr. Der Käsesohn gab dem Wirt Auftrag, jetzt für ihn gerade erst recht ein Huhn mit Sahne zuzubereiten. »Zwei Hühner«, verbesserte er sich. »Der Herr ist auch eingeladen«, und er wandte sich mit ungeschlachter Gastfreundlichkeit an Josef. »Oder ist der Herr etwa aus Jabne?« fragte er drohend. »Hält er zu den Doktoren? Verachtet er uns Bauerntölpel aus Galiläa?« Josef beeilte sich zu erwidern, wie geehrt er durch die Einladung sei, und setzte sich zu den Männern.
Diese ereiferten sich weiter über die Doktoren. »Das mit dem Verbot der Sahnensauce zum Geflügel«, meinten sie, »ist erst ein Anfang. Sie werden immer mehr verbieten. Es wird noch so weit kommen, daß sie uns überhaupt verbieten, von den göttlichen Dingen zu reden. Einem immer mehr und immer schwerere Riten auflegen, das können sie; aber sie wollen nicht, daß der gemeine Mann über Jahve sinniert. Sie sind eifersüchtig auf ihren Jahve, die Herren in Jabne, sie wollen ein Monopol auf ihn, sie umgeben ihn mit lauter Geheimnis und schließen einen von seinem Angesicht ab. Sie drücken sich so aus, daß man sie nicht versteht. Wer zum Beispiel kann es begreifen, wenn sie einem den Untergang Jerusalems erklären? Da gibt es andere, die deuten einem das viel besser aus. Nicht wahr, Tachlifa?« wandte er sich an einen still dasitzenden jungen Menschen mit
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