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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Wege.«
      »Erklären Sie mir eines, Claudius Regin«, bat er, scheinbar ohne Zusammenhang, und seine Stimme klang rostig: »Sie wissen, mir ist Jahve in Wahrheit kein nationaler Gott, sondern der des Erdkreises. Erklären Sie mir, warum reißt es so in mir, daß ich auf das Judentum meines Paulus verzichten mußte?«
      »Sie wollen alles geschenkt haben«, quäkte auf seine alte, unwirsche Art Regin. »Sie wollen für Ihre Erkenntnisse nichts bezahlen. Haben Sie noch nicht gemerkt, daß der Kopf rascher weiser wird als das Herz? Glauben Sie, daß die bessere neue Einsicht so ohne weiteres die alten Gefühle wegwischt, die aus der früheren Erkenntnis stammen? Und es ist auch gut«, fuhr er grimmig fort, »daß man für Erkenntnisse zahlen muß. Nur was man teuer bezahlt hat, hält man in Ehren. Jetzt gibt es nicht viele, die sich um Erkenntnisse reißen, aber wer einmal dafür bezahlt hat, dem sitzen sie fest.«
      »Was soll ich tun?« fragte unterwürfig, geradezu hilflos, Josef.
      Regin schwieg lange. Dann, ein bißchen maulfaul wie stets, aber ungewohnt behutsam, sagte er: »Am besten wäre es vielleicht, wenn Sie, ohne sich um Juden und Griechen zu kümmern, an Ihre ›Jüdische Geschichte‹ herangingen. Es gibt jetzt in Ihrem eigenen Leben Geschichten und Situationen genug, die mit denen der jüdischen Historie parallel gehen. Ob Sie Abraham oder Josef, Juda Makkabi oder Hiob darstellen, an innerer Anteilnahme dürfte es Ihnen nicht fehlen.«
      Josef erschrak geradezu vor Regins Spürsinn. Es war unheimlich, wie dieser Halbjude ihn ausdeutete und aussprach, was er selber kaum zu denken gewagt hatte. Abraham, der die Hagar austreibt, Josef, der des Pharao Günstling wird, Juda Makkabi, der das Volk in den Krieg führt, Hiob, der alles verliert, und wieder Abraham, der seinen Sohn opfert: wahrhaftig, ihm schien auferlegt, die Geschichten und Situationen der Bibel auf eine bittere, sonderbar verzerrte Art neu zu erleben.
      Regin war nicht gewillt, ihn diesen Gedanken eitel zu Ende denken zu lassen. »Mißverstanden werden Sie immer«, sprach er weiter. »Schreiben Sie so kompromißlos, wie Sie jetzt, zum erstenmal in Ihrem Leben, kompromißlos gehandelt haben. Ich gebe übrigens zu, es ist schwerer, kompromißlos zu schreiben als zu handeln. Aber versuchen sollten Sie es einmal. Ich habe so viel Geld in Sie gesteckt, daß ich ein solches Experiment von Ihnen verlangen kann.«
      Josef merkte gut, daß der Mann, so unwirsch spaßhaft er sich gab, ihm wohlwollte und ihn besser verstand als irgendeiner sonst. Trotzdem zögerte er. »Ich kann jetzt nicht arbeiten«, verteidigte er sich. »Meine Gedanken streiten miteinander. Sie verstehen mich vielleicht, Claudius Regin, aber ich fürchte, ich kann mich keinem Dritten klarmachen.«
      Regin sagte: »Sie sind so weit gegangen, daß Sie nicht mehr zurück können. Es bleiben Ihnen nur zwei Wege. Sie können entweder, was Ihnen an Judentum geblieben ist, ganz abtun, es ist kein großer Schritt, und vollends zum griechischen Schriftsteller werden. Reizt es Sie, eine junge Dame aus guter römischer Familie zu heiraten? Das wäre zu machen. Es wäre keine originelle Lösung, aber sie hätte ihre Vorteile, und ich käme zu meinem Geld.«
      Josef wartete auf den zweiten Weg, von dem Regin gesprochen hatte. Aber der begnügte sich mit dem »Entweder« und bückte sich ächzend, seinen losen Schuhriemen zu binden. So nahm, nach einer Weile Schweigens, Josef wieder das Wort und sagte: »Ich kann hier in Rom nicht arbeiten. Ich sehe nichts. Ich spüre nichts. Ich habe meinem Sohn jüdische Geschichte nicht klarmachen können: wie soll ich sie andern klarmachen? Es gab eine Zeit, da habe ich Geschichte gesehen, Moses, David, Jesajas. Jetzt ist mir alles dick vor den Augen, und ich sehe nichts mehr.« Regin hörte aufmerksam zu, aber er schwieg. Wieder nach einer Weile fuhr Josef fort: »Vielleicht wäre es gut, nach Judäa zu gehen.«
      Und jetzt, endlich, sprach auch Regin wieder. Immer noch mit seinem Schuhriemen beschäftigt, zitierte er den Horaz, merkwürdig kamen die edeln Worte von seinen dicken Lippen: »Es schmilzt der bittere Winter vor dem lieben Wechsel des lenzlichen Südwinds. Auf trockenen Schienen gleiten die Schiffe ins Meer.«
      »Ich will Galiläa wiedersehen«, sagte mit auflebendem Entschluß Josef, »die neuen griechischen Städte und die alten jüdischen. Ich will das verödete Jerusalem sehen. Ich will Flavius Silva sehen und

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