Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
Vom Netzwerk:
Hillels und Anhänger Schammais, Priestergläubige und Prophetengläubige. Manche Sekten waren mit dem Staat und dem Tempel verschwunden, aber die Spaltung innerhalb des jüdischen Volkes hatte nicht aufgehört.
      Von jeher hatte es Juden gegeben, die, gierig auf die Erkenntnisse der andern, in der Wissenschaft der fremden Völker geforscht hatten. Sie wollten sich das jetzt nicht nehmen lassen. Führer der Juden, der große Denker Philo an ihrer Spitze, hatten sich seit Jahrhunderten bemüht, griechische Bildung organisch mit ihrer eigenen Lehre zu verbinden, »die Schönheit Jaffets in den Zelten Jakobs wohnen zu machen«. Wie, und auf einmal sollte das ein Verbrechen sein? Und viele fügten sich nicht, anerkannten nicht die Autorität der Doktoren, nahmen den Bann auf sich, verließen das Land, ehe sie ihr griechisches Teil an Erkenntnis preisgaben.
      Die Doktoren hielten fest an ihrem Plan. Sollten die Juden nicht in den andern Völkern aufgehen, dann mußte ihre Lehre klar sein, einheitlich bis ins Letzte. Ein Brauch und eine Sitte mußte sein, an der man die Juden von den andern unterschied. Das ganze Leben mußte unter das Gesetz gestellt, keine Abweichung durfte geduldet werden.
      Bis jetzt hatte es über den Messias viele Meinungen gegeben. Die einen glaubten, er werde das Schwert, die andern, er werde die Palme des Friedens bringen. Viele hatten in vielen den Messias gesehen, man hatte sie gewähren lassen. Jetzt schrieben die Doktoren den Glauben an einen einzigen Messias vor, der da in Bälde erscheinen, die Römer aus dem Land werfen, Jerusalem wieder aufrichten und alle Völker zwingen werde, den Gott Israels anzuerkennen.
      Da gab es aber Leute, die Minäer, die »Gläubigen«, auch Christen genannt, die da erklärten, der Messias sei bereits erschienen; seine Sendung sei freilich nicht von dieser Welt gewesen, vielmehr sei er gekommen, um allem Volk den Weg der Gnade zu zeigen, so daß nicht nur die Doktoren, sondern ein jeder, auch der Einfältige im Geiste, fähig sei, Jahve zu erkennen. Man habe aber dem Messias nicht geglaubt, sondern ihn verleugnet und schließlich umgebracht.
      Schon vor dem Fall des Tempels hatten einige das verkündet, aber sie hatten wenig Anhänger gefunden. Jetzt sagten sie: »Seht ihr, weil die Priester und Doktoren den Messias getötet haben, darum ist Jerusalem zerstört worden«, und viele begannen zu sinnieren: Haben sie nicht recht? Waren nicht die Priester und Doktoren wirklich voll Wissensdünkel und Übermut? Es war schwer, einzusehen, warum sonst Jahve seinen Tempel sollte zerstört und sein Volk in die Gewalt der Heiden gegeben haben.
      Auch was die Minäer weiter lehrten, ging den Leuten leicht in Sinn und Herz. Die Doktoren stellten das Leben unter das Gesetz, sie verordneten sechshundertdreizehn Hauptgebote und Hauptverbote, von denen ein jedes in zahllose kleinere Vorschriften zerfiel, sie regelten den Ablauf des Tages vom frühen Morgen bis tief in die Nacht hinein mit tausend kleinen, strengen Zeremonien und Gebeten und bedrohten jeden Verstoß mit Strafen in dieser und in jener Welt. Die Minäer hingegen lehrten, gut sei das Leben nach dem Gesetz; aber es genüge, an den lieben Messias zu glauben, der die Menschen entsühnt habe, um für die Entbehrungen dieser Erde durch ein süßes Jenseits entschädigt zu werden. Und sehr viele gaben sich der neuen, weicheren Lehre hin.
      Die Doktoren hatten gegen diese alle zu kämpfen, gegen die griechischen, kosmopolitischen Neigungen der Gebildeten, gegen den linden Erlöserglauben der Armen im Geiste. Sie kämpften zäh und geschmeidig, bald mit Sanftheit, bald mit Gewalt, immer das Ziel vor Augen: die Einheit des Gesetzes.
      Sie kämpften mit Erfolg. Die weitaus meisten unter den Juden vertrauten ihnen, unterwarfen sich ihrer Führung. Stellten das ganze Leben unter ihre Zeremonien und Vorschriften, vom ersten Erwachen bis in den Schlaf. Aßen und fasteten, beteten und verfluchten, feierten und arbeiteten, wann sie es ihnen befahlen. Verzichteten auf geliebte Träume und Meinungen, schlossen sich ab von den Nichtjuden, mit denen sie bisher Freundschaft gehalten. Freund wich vom Freund, wenn der Nichtjude war. Nachbar vom Nachbarn, Geliebter von der Geliebten. Sie nahmen auf sich das Joch jener sechshundertdreizehn Gebote und Verbote, machten ihr Leben eng und kahl, hielten sich aufrecht durch den Gedanken, daß sie das eine, auserwählte Volk Jahves seien, und durch die inbrünstige

Weitere Kostenlose Bücher