Die Söhne.
ihnen nicht vertragen. Das ganze Land ist nun doch einmal mit ihnen durchsetzt, und jeder ist auf seinen römischen, syrischen oder griechischen Nachbarn angewiesen.
Da ist zum Beispiel die Sache mit den Ochsen. Die Doktoren verbieten die Kastrierung der Stiere. Aber wenn man auf die Kühe allein angewiesen ist und sonst kein Zugvieh hat, wie soll man da auskommen? Bis jetzt hat man sich an seinen syrischen oder römischen Nachbarn gehalten und ihn ersucht, er soll einem den Stier stehlen und als Ochsen wieder zustellen. Die Syrer taten einem gern die Gefälligkeit, und die Geschichte war gemacht. Aber jetzt. Unter vierzig Sesterzien stiehlt einem jetzt keiner mehr den Stier, und dann macht das Pack gelegentlich noch den Spaß, einem den Stier als Stier wieder zuzustellen. Was soll man tun? Nicht einmal klagen kann man. Das Geschäft verstößt gegen die guten Sitten.«
Josef hörte zu. Natürlich hatte Johann recht. Aber wenn er selber, ohne je im Ausland gewesen zu sein, als einer der Doktoren im Kollegium von Jabne säße, er machte es wahrscheinlich ebenso wie die andern. Da man die Lehre abzäunen mußte, wo sollte man den Zaun ziehen? Schon einmal war das ganze Land hellenisiert worden, und das Judentum war ernstlich Gefahr gelaufen, im Griechentum aufzugehen.
Er zog südwärts, kam nach dem eigentlichen Judäa. Nun er Land betrat, das zumeist von Juden bewohnt wurde, war er doppelt zurückhaltend. In der schönen Stadt Thamna zum Beispiel, im Gebirge Ephraim, hauste er bescheiden bei einem Ölhändler, zu dem der Verwalter seiner Besitzungen geschäftliche Beziehungen unterhielt. Josef hatte diesen seinen Gastfreund gebeten, seinen Namen nicht zu nennen. Bald aber hatte der und jener ihn erkannt, und am vierten Tag erschien bei Josef der Präsident der jüdischen Gemeinde mit zwei Vorständen, und sie hatten ein Anliegen an ihn.
Es war dies. Zwischen dem griechischen Bürgermeister der Stadt Thamna und der großen jüdischen Majorität des Magistrats war von jeher Feindschaft gewesen. Als nun der griechische Bürgermeister das Dokument, in dem der Senat der Stadt Thamna das Gesetz des Antist über das Verbot der Beschneidung mitteilte, vor der Verlesung vorschriftsgemäß den einzelnen Magistratsräten zum Kuß und zur Ehrenbezeigung überreichte, hatte der jähzornige Stadtrat Akawja geglaubt, der Bürgermeister lächle höhnisch, er hatte die Beherrschung verloren, das Schriftstück, statt es zu küssen, angespien und es in Stücke zerfetzt. Man hatte den Stadtrat als Majestätsverbrecher nach Cäsarea eingeliefert, und die römischen Richter unter dem Vorsitz des Gouverneurs hatten ihn zur Kreuzigung verurteilt. Akawja aber hatte als römischer Bürger von seinem Recht Gebrauch gemacht, an die Kronjuristen in Rom zu appellieren. Jetzt wartete er darauf, nach Rom gebracht zu werden. Die Juden von Thamna mittlerweile schickten Deputationen an Flavius Silva, erklärten, Akawja habe in einem Anfall plötzlichen Wahnsinns gehandelt, versuchten, bei dem Gouverneur seine Begnadigung zu erwirken.
Jetzt also waren sie bei Josef und forderten ihn auf, seinen Einfluß in Cäsärea für ihren Mitbürger einzusetzen. Die Herren waren befangen und anmaßend zugleich. Sie baten und sie verlangten. Josef hörte aus ihrer Rede heraus, daß sie nach allem Leid, das er der Gesamtheit zugefügt habe, ihn für verpflichtet hielten, jedem Juden zu helfen.
Er hatte während seiner Reise an Demut zugenommen. Daß sie sich an ihn wandten, kitzelte nicht seine Eitelkeit, und die Art, wie sie von ihm forderten, kränkte ihn nicht. Er sagte einfach: »Ich will versuchen, ob ich etwas für Ihren Mitbürger tun kann.«
»Sie haben eine kurze Antwort für uns, Doktor Josef«, sagte feindselig einer aus der Deputation. »Sie behandeln uns wie lästige Bittsteller. Ich sehe, Sie haben nichts vergessen. Ich habe von Anfang an gefürchtet, daß wir Ihnen lästig fallen, und
habe abgeraten, zu Ihnen zu gehen.«
Ein Jahr vorher hätte Josef hochmütig erwidert. Jetzt schwieg er. Er lächelte nicht einmal über den simpeln Verdacht des Mannes, der glaubte, ein Flavius Josephus werde seinen Zorn über die feindselige Haltung der gesamten Judenheit an diesem einen Akawja auslassen. Er sagte nur: »Ich habe viele Menschen am Kreuz gesehen. Ich möchte Ihrem Akawja helfen. Aber ich möchte auch vielen andern helfen, und meine Kraft ist gering.« Der Präsident sagte: »Wir haben Ihnen auseinandergesetzt, wie
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