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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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seiner Ankunft gehört hatte. Sie hockte auf der Erde, Gießränder für die Weinstöcke grabend, wie es schien. Als sie ihn erblickte, blieb sie hocken, sie lehnte den Kopf zurück, ihr rundes Gesicht wurde blaß unter seiner Bräune, ihre Augen weit, und, die Stimme gepreßt von Zorn und Schreck, rief sie ihm zu: »Kommst du, Schlächter des Herrn? Wagst du dich zu mir? Was willst du von mir? Bleib fern von mir, Geschlagener.«
      Er stand hilflos. Was konnte er ihr erwidern? Vor dem gemeinen Menschenverstand hatte er recht. Er konnte sagen: Wie soll man einen elfjährigen Jungen hüten? Kann man ihn immer am Gängelband halten? Auch wenn du in Rom geblieben wärst, hättest du nichts verhindern können. Aber wenn er ihr das sagte, was sollte es nützen? Er wagte ja nicht einmal, sich selber solche Dinge weiszumachen. Er wußte, daß der Tod Simeons seine Schuld war. Nicht, daß ein Richter ihn schuldig gesprochen hätte, wenn seine Sache in Rom anhängig gemacht worden wäre oder in der Quadernhalle des Tempels von Jerusalem. Trotzdem war er schuld. Er wußte es gut. Und als sie ihn anschrie, verändert, mit einer Heftigkeit, die er nie an ihr wahrgenommen, die bräunlichen Augen verwildert: »Du hast mich zu einem dürren Ast gemacht. Ich habe bei ihm bleiben wollen, du aber hast mich von ihm gerissen und hast ihn ausgelöscht«, da konnte er nichts darauf sagen.
      Schließlich sprach er trotzdem. Er stand in der hellen Sonne. Er arbeitete sich ab und redete ihr gut zu, aber er sah, daß er nur die Luft erschütterte. Sie erwiderte nichts mehr. Da drehte er sieh um und ging.
      Als er sich vor der Wegbiegung nach ihr zurückwandte, sah er, daß sie ihm nachschaute. Ihr Gesicht hatte sich jetzt verwandelt. Es war nicht mehr Schreck und Wut darin, sondern nur mehr eine große Trauer.

    Unter den Leibeigenen des Josef war ein Minäer, der, wie der Verwalter erzählte, die Lehren dieser Sekte gut auszudeuten verstand, so daß er manche seiner Hörer für seinen Glauben gewonnen hatte. Josef versuchte, mit diesem Leibeigenen in ein Gespräch zu kommen. Doch das war nicht leicht. Trotzdem Josef sich vorhielt, er sei doch selber einmal Leibeigener gewesen, konnte er mit diesem Entrechteten nicht frei vom Herzen sprechen; gegen seinen Willen kam in seinen Ton etwas Herablassendes. Der Rechtssatz der Doktoren, daß Leibeigene wie Immobilien anzusehen seien, stak ihm im Blut.
      Im Gespräch mit diesem samaritanischen Leibeigenen indes verlor sich seine Steifheit schnell. Wie der Mann ursprünglich geheißen hatte, wußte Josef nicht; der Verwalter hatte ihm einen der üblichen Leibeigenennamen gegeben, Samua, »der Gehorsame«, und ließ ihn wie alle anderen Leibeigenen die Schelle tragen, die ihn als Hörigen, dem Vieh Gleichen, charakterisierte. Trotzdem und bei aller Dienstwilligkeit hatte dieser Samua den Anstand und das Gehabe eines freien Mannes. Wenn man ihm glauben wollte, dann war er, als die samaritanische Stadt Esdraela beim Anfang des Aufstands ihre Juden totschlug, für diese eingetreten, dafür von seinen Mitbürgern den Römern als Teilnehmer an dem Aufstand denunziert, von diesen festgenommen und in die Leibeigenschaft verkauft worden. Es war möglich, daß es so war, aber es war unbehaglich, es zu glauben. Auf alle Fälle beschloß Josef, den Verwalter anzuweisen, den Gehorsamen in Zukunft gleich einem jüdischen Leibeigenen zu behandeln, ihn also in Kleidung und Wohnung dem Herrn völlig gleichzustellen, gemäß der Vorschrift: »Daß du nicht etwa äßest weißes Brot und dein Leibei gener schwarzes, tränkest alten Wein und er jungen, schliefest auf Matratzen und er auf Stroh, wohntest auf dem Lande und er in der Stadt, oder du in der Stadt und er auf dem Lande.« Der Verwalter wird darüber zwar nicht gerade erfreut sein.
      Vorläufig unterhielt sich Josef mit dem Gehorsamen über die Lehren der Christen, und es ergab sich sogleich, daß dieser Samariter besser Bescheid wußte als jener Tachlifa in der Schenke von Kapernaum. Ja, wenn man ihn auch nicht gerade im Sinne der Doktoren gelehrt nennen konnte, so war er doch beschlagen in der Schrift und in ihrer mündlich überlieferten Ergänzung. Josef also fragte ihn: »Da du, Gehorsamer, wie ich sehe, dich gut auskennst in den Lehrmeinungen der Doktoren, sage mir, was hat dich dazu geführt, dich mit diesen Meinungen nicht zu begnügen, sondern über sie hinaus die Lehre der Minäer anzunehmen?« Der Gehorsame erwiderte: »Die Doktoren sind

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