Die Söhne.
habsüchtig im Geiste. Sie haben das Wort der alten Propheten vergessen, Jahve sei der Gott aller Welt. Sie glauben, sie allein hätten das Recht gepachtet, sich mit seiner Lehre abzugeben und sie zu studieren. Darum auch waren sie eifersüchtig, als Jesus von Nazareth sich den Propheten Gottes nannte, und darum haben sie den Gesalbten getötet. Aber nun hat es sich ja erwiesen, daß Jahve nicht der Gott der Priester und der Doktoren ist. Warum sonst hätte er Jerusalem zerstört, ihren Sitz und sein früheres Haus? Darauf wissen sie keine Antwort. Sie sprechen viel von anderer Schuld und erklären, Jahve werde Jerusalem wieder aufbauen. Aber das ist eine Hoffnung, keine Antwort.«
Da war es wieder, dieses Argument, das Josef schon in Galiläa gehört hatte und das die Christen offenbar für ihr wirksamstes hielten. Dieser Minäer führte es noch deutlicher aus. »Jahve«, sagte er, »hat das Gefäß zerbrochen, in das bisher die Lehre gegossen war, Jerusalem und den Tempel. Unmöglich kann man eine andere Folgerung daraus ziehen als die, daß er die Lehre ausgegossen wissen will über die ganze Welt, über Laien wie über Gelehrte, über Heiden wie über Juden. Er wollte zeigen, daß er überall wohnt, wo der Glaube an ihn ist.« Der Gehorsame sprach mit tiefer Stimme, leise, doch deutlich und entschieden. Er war ein kräftiger Mann, gebräunt von der Sonne. Wenn er sich bewegte, klingelte die Schelle seiner Leibeigenschaft.
Josef fragte ihn weiter aus. Was den Gehorsamen an der Lehre Jesus des Nazareners vor allem anzog, war die Verachtung des Reichtums und die Hochschätzung der Armut, die schlichte Lebensführung, die Brüderlichkeit. »›Liebe deinen Nächsten wie dich selbst‹, heißt es in der Schrift«, sagte er, »und die Doktoren verkünden als goldene Regel: ›Was du nicht willst, daß man dir tue, das tue auch keinem andern.‹ Wir stellen an uns höhere Forderungen. Wir lehren, man soll nicht nur den Nächsten, sondern auch den Feind lieben wie sich selber, ja, man soll die andere Wange hinhalten, wenn man auf die eine geschlagen wird.« Und, gutmütig lächelnd, fügte er hinzu: »Es kann, glaube ich, mein Doktor und Herr, den Besitzern von Leibeigenen nur angenehm sein, wenn ihre Leibeigenen Christen werden. Denn die christliche Lehre hebt jene Weisung auf, die Kanaan, das Urland der heidnischen Leibeigenen, diesen mitgegeben hat: ›Liebet euch gegenseitig und hasset eure Herren, liebet den Diebstahl, liebet die Schwelgerei und hasset die Wahrheit.‹«
Josef meinte, diese Moralprinzipien, Brüderlichkeit und Verachtung des Reichtums, seien ihm aus der Zeit seiner essäischen Studien und Moralübungen vertraut. Sie wichen im Grunde nicht ab von den Sätzen der Doktoren. »Was also ist es«, fragte er, »worin die Lehre der Minäer abweicht von der der andern?«
»Soweit ich, ein ungelehrter Mann, es überblicken kann«, erwiderte bescheiden der Gehorsame, »sind es zwei Grundsätze. Wir glauben, der Messias ist bereits erschienen, und es ist nicht gut, noch weiter zu hoffen, Jerusalem werde in Stein und äußerem Glanz wieder auferstehen. Und ferner halten wir dafür: Wissen und Werke sind gut, aber besser ist der Glaube. Und der Glaube ist jedem erreichbar, nicht nur dem Gelehrten, sondern auch dem Armen an Geist und Bildung wie hier dem Gehorsamen, deinem Knecht.«
Josef fragte: »Kannst du mir nichts Näheres sagen, Gehorsamer, über die Taten und Aussprüche deines Jesus von Nazareth?«
»Es ist einer in der Nähe der Stadt Lud«, erwiderte der Gehorsame, »in dem Dorfe Sekanja, ein gewisser Jakob. Der hat ein kleines Buch, darin sind die Lehren und Gleichnisreden unseres Gesalbten aufgezeichnet, desgleichen sein Leben und sein Wandel durch die Länder Galiläa und Juda. Dieser Jakob, trotzdem er drei große Güter hatte, gab sie auf und gehört zu uns, den Armen. Er ist ein Wundertäter, er heilt Kranke und macht Besessene frei. Erst eiferte Doktor Ben Ismael gegen ihn. Aber nach einigen Gesprächen änderte er seine Meinung. Jetzt sucht Doktor Ben Ismael die Gesellschaft des Jakob aus Sekanja und sitzt oft im Kreise der Gläubigen, trotzdem seine Kollegen in Jabne das nicht gerne sehen.«
Josef beschloß, diesen Jakob aus dem Dorfe Sekanja aufzusuchen.
Die Hochschule der Stadt Lud hatte vor dem Krieg großes Ansehen genossen. Jetzt aber hatte sie ihre Privilegien verloren, die Regelung des jüdischen Ritus und die jüdische Gerichtsbarkeit lag
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