Die Söhne.
her. Während sie redeten, schlenderte faul und ungeniert eine junge, sehr schöne, dunkelbraune Frau herein, eine seiner Freigelassenen, wie der Acher erklärte. Sie beschaute neugierig, ohne Verlegenheit, den Fremden, hockte nieder, lässig, üppig. »Sie stört uns nicht«, meinte der Acher. »Wenn man nicht von sehr platten Dingen spricht, versteht sie nichts. Sie hockt dann einfach da und ist erfreulich anzuschauen. Natürlich tadelt man mich und belegt mich mit allen Flüchen, weil ich meine frühere Leibeigene halte, als wäre sie meine Frau. Aber warum soll ich es nicht? Sie gefällt mir besser als die meisten Frauen, die zu ehelichen niemand mir verübelte. Ich kann schärfer und besser denken, wenn sie da ist und wenn ich sie anschaue.«
Er ließ Wein und Konfekt bringen. Sein Haus war schön, das schönste in Lud, mit kostspieliger Einfachheit; Bildwerk lief die Wände entlang. Die Braune hockte auf ihrem Ruhelager. Der Acher sprach weiter von den Büchern Hoheslied und Kohelet. »Ich verstehe nicht«, spottete er, »warum die Herren in Jabne so lange zögern, diese Bücher endgültig aus der Heiligen Schrift auszuschließen. Was verstehen sie vom Hohen lied, wenn sie es mir als Sünde anrechnen, daß ich in Gegenwart dieser meiner braunen Tabita in der Schrift lese? Was verstehen sie vom Kohelet, wenn sie es mir verbieten, mich auf meine Art mit dem Satan und dem Jüngsten Gericht auseinanderzusetzen? Schon in ihrer jetzigen Gestalt macht es die Schrift den Doktoren schwer genug, sie mit den hausbackenen Regeln ihrer nationalistischen Moral in Einklang zu bringen.«
»Und doch«, fragte Josef, »haben Sie Ihre ganze Jugend auf das Studium der Doktoren und ihrer Lehre verwendet?« Das fleischige Antlitz des jungen Menschen, das keine seiner Regungen verbarg, füllte sich mit grimmiger Trauer. »Es fehlte nicht viel«, erwiderte er, »und ich hätte heute noch nicht mit ihnen Schluß gemacht. Mein Lehrer war Doktor Ben Ismael. Er suchte mich mit guten Gründen zu halten. Es war ihm schmerzlich, daß ich mich von Jabne abkehrte. Dabei geschah es um seinetwillen. Sie kennen Doktor Ben Ismael?« unterbrach er sich. Und da Josef verneinte, sagte er stürmisch: »Ein großer Mann. Sie müssen ihn sehen. Sie müssen ihn hören. Er ist das einzige, was in diesem Lande noch etwas taugt.« Er sprang auf, lief hin und her.
»Man erzählt mir«, sagte vorsichtig Josef, »Doktor Ben Ismael habe keinen leichten Stand vor dem Großdoktor Gamaliel, trotzdem er seine Schwester zur Frau hat.« – »Sagt man Ihnen das?« fragte höhnisch der Acher zurück, grinsend über sein massiges Gesicht. »Hörst du es, Tabita?«, und er rührte, leicht tätschelnd, die Schulter der Braunen. »Man sagt diesem Herrn, Doktor Ben Ismael habe keinen leichten Stand vor Gamaliel.« Die Braune lutschte Konfekt, schaute lächelnd zu ihm auf. Der Acher ließ von ihr ab. »Man hat Sie richtig informiert, mein Doktor und Herr«, wandte er sich wieder mit ironisch trockener Sachlichkeit an Josef. »Er hat keinen leichten Stand.«
»Ich habe von einem Zwist gehört«, tastete Josef sich weiter, »zwischen ihm und dem Großdoktor, am letzten Versöhnungstag.«
»Ja«, höhnte der Acher, »man kann es auch einen Zwist nennen.« Seine kleinen Augen unter der breiten Stirn starrten heftig auf Josef. »Ben Ismael ist ein weiser Mann«, sagte er, »der gelehrteste in Jabne. Und der Großdoktor ist ein Politiker.« Es war erstaunlich, wieviel Haß und Spott der Acher in dieses Wort »Politiker« zu legen vermochte. »Es konnte nicht ausbleiben, daß es zwischen dem Weisen und dem Politiker zum ›Zwist‹ kam.«
Er setzte sich wieder, er wollte sich sichtlich zur Gelassenheit zwingen, er erzählte. »Seitdem Großdoktor Gamaliel im Amt ist, gab es zwischen ihm und dem Kollegium immer wieder Differenzen, wem die Fixierung des Kalenders und der Festtage zustehe, dem Großdoktor allein oder dem gesamten Kollegium. Dieses Jahr, zu Beginn des Monats Tischri, kam es zum offenen Konflikt. Die Mehrheit des Rats, Ben Ismael an der Spitze, erklärte die Mondzeugen des Großdoktors für unzuverlässig. Der Großdoktor beharrte, setzte den ersten Tischri, das Neujahrs-, Versöhnungs- und Hüttenfest gemäß der Aussage seiner umstrittenen Zeugen fest und ließ sie so als verbindlich durch das Land verkünden. Ben Ismael ist kein Kämpfer. Er fügte sich und hielt die Riten des Jahresersten an dem von dem Großdoktor festgesetzten Tag.
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