Die Söhne.
Freilich auch an dem von ihm selber bestimmten. Aber Gamaliel wollte keinen Kompromiß, er wollte die Sache ein für allemal bereinigen. Es genügte ihm nicht, daß Ben Ismael bereit war, das Versöhnungsfest an seinem, des Gamaliel, zehnten Tischri zu feiern. Er wollte darüber hinaus, daß Ben Ismael den Tag, den er und seine Freunde als den zehnten Tischri und ihren Sabbat der Sabbate festgesetzt hatten, daß Ben Ismael diesen seinen Versöhnungstag entweihe. Er legte ihm auf, an diesem Tag ein Stück Weges zu Fuß zu gehen, in Wanderkleidung, und mit Stab, Ranzen und Geldbeutel vor ihm zu erscheinen. Der Großdoktor wollte, daß Ben Ismael dadurch vor allem Volk bekunde, daß sein Versöhnungstag, dieser angebliche zehnte Tischri, in Wahrheit ein gemeiner Werktag sei, gemäß der Verfügung des Großdoktors. Das ganze Kollegium bestürmte Gamaliel, abzulassen. Er gab nicht nach. Er berief sich natürlich, wie immer, auf die ›Einheit der Lehre‹. Es müsse Israel gezeigt werden, beharrte er frech und eisern im Kollegium, daß es nur eine gottbefugte Ausdeutung der Lehre gebe: die seine. Ben Ismael wurde mit Ausschluß und Bann bedroht,
wenn er sich nicht füge.«
Es hielt den Acher nicht länger auf seinem Sitz. Er sprang auf, wischte sich den Schweiß von der Stirn, lief wieder hin und her. »Wir alle«, erzählte er weiter, »redeten auf Ben Ismael ein, seine Frau voran, die eigene Schwester des Großdoktors. Wir durften mit Recht hoffen, daß, wenn Ben Ismael sich weigerte, ein großer Teil des Rates ihm zufiel. Vielleicht konnte man Gamaliel absetzen. Vielleicht, wenn sich Ben Ismael und seine Freunde von dem Kollegium trennten, konnte man die unheilvolle, nationalistische Diktatur des Großdoktors brechen. Ben Ismael stöhnte. Alles in ihm bäumte sich. Wir hetzten ihn, wir ließen ihm keine Ruhe. Aber dieses höllische Wort von der Einheit der Lehre hatte es ihm angetan. Er riskierte nicht die Spaltung. Er fügte sich.«
Der Acher stand jetzt vor Josef, er schnaufte stark, sein massiges Gesicht war finster, traurig. »Ich sehe ihn noch«, erzählte er, »wie er in Jabne ankam, bestaubt, der ganze, rüstige Mann eine Mühsal, als wäre der leichte Ranzen zentnerschwer. Die Leute von Jabne hatten ihre Häuser verlassen und standen an seinem Weg, niemand sagte ein Wort, alle standen bedrückt, und Ben Ismael schleppte sich die Stufen der Lehrhalle hinauf, wo der Großdoktor ihn erwartete. Ich habe, als Fünfzehnjähriger, gesehen, wie Jerusalem brannte und fiel. Aber eher werde ich das vergessen als den Anblick des gehetzten, traurigen Mannes mit dem Stab und dem Ranzen. Er hatte die Todsünde auf sich genommen um jener verfluchten Einheit der Lehre willen, er war der Bock, der die Sünde aller trägt, man sah, wie ihn die Last zusammenpreßte und ihm den Atem benahm. Aber er schleppte und trug. Das habe ich gesehen. Da sagte ich den Doktoren ab und ging fort von Jabne.« Den Acher genierte offenbar das Pathos seiner Erzählung. »Gib mir das Konfekt herüber, Tabita«, bat er und nahm von dem Konfekt. »Die Herren in Jabne hätten mich gern gehalten«, ergänzte er seinen Bericht. »Sie wären so weit gegangen, mir ausnahmsweise privatim meinen Philo und meinen Aristoteles zu erlauben. Sie sind bereit zu solchen Konzessionen: nur still muß man sich halten, und wenn man eine eigene Wahrheit findet, dann muß sie die eigene bleiben und darf beileibe nicht wei tergesagt werden.« Er spuckte das Konfekt aus. »Die Einheit der Lehre. Ein Gott, eine Nation, eine A uslegung. Die Doktoren erlauben nicht, daß man über die Bücher der Griechen diskutiert, über die Emanationen Gottes, über den Satan, den Heiligen Geist. Mit lauter Zentralisierung und Nationalisierung bringen sie die Lehre um ihren Sinn. Mit ihrer einen Auslegung deuten sie die Welt aus der Schrift hinaus und ein albernes, größenwahnsinniges Natiönchen in sie hinein. Wenn Jahve nicht der Gott der ganzen Welt ist, was ist er dann? Ein Gott unter vielen, ein nationaler Gott. Sie verkünden die Enge, die Herren in Jabne, sie wollen die Nation, und sie verbannen Gott. Sie berufen sich auf Jochanan Ben Sakkai. Aber ich wette diese meine Tabita hier gegen ein Johannisbrot, Jochanan hätte das Judentum lieber preisgegeben als es so verstümmelt und verknöchert. Jochanan wollte die Welt mit jüdischem Geist füllen, Gamaliel vertreibt den Geist aus den Juden. Die Massen verstehen nicht, worum es geht, aber das merken sie, daß es mit Jahve
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