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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Fremde, zuerst spreche. »Vieles scheint mir sehr schön«, sagte er endlich, und obwohl der Minäer Jakob ohne Deklamation gelesen hatte, klang ihm seine eigene Stimme jetzt auffallend hart und nüchtern. »Aber was ist Neues an diesen Lehren und Botschaften? Stammen sie nicht fast alle aus der Schrift oder aus den Reden der Doktoren?« Der Minäer Jakob wandte ihm ruhig sein glattrasiertes Gesicht zu, und Josef glaubte unbehaglich, auf diesem Gesicht ein ganz kleines Mitleid mit solcher Krittelei zu entdecken. Aber Jakob aus Sekanja erwiderte ihm nicht. Vielmehr sprach an seiner Statt der Acher. »Sehr neu ist die Botschaft nicht«, gab er zu. »Aber klingt nicht alles einfacher, gelöster, weicher, als wir es früher hörten? Spüren Sie nicht, welch erregende Süßigkeit ausgeht von dieser Lehre vom Nichttun? Nicht mehr kämpfen gegen die Römer und gegen die Welt, die Macht im Diesseits aufgeben, aufgehen in Gott, einfach glauben.«
      Josef ahnte, was den Acher an der Botschaft dieses Markus anzog; aber er selber spürte es nicht. Streitsüchtig, da es ihn verdroß, daß die andern ihn vielleicht für stumpf hielten, fuhr er fort: »Und sind nicht manche Widersprüche in der Lebens beschreibung? Wenn Jesus von den Juden wegen Lästerung des Namens verurteilt wird, warum wird er da nicht gesteinigt? Wenn aber die Römer ihn als König der Juden verurteilen, also doch wohl wegen Aufruhrs und Majestätsverbrechens, wozu dann erst das Gericht der Juden? Und wenn Tausende ihm entgegenziehen und Hosianna rufen, wenn also alles Volk ihn kennt, wozu brauchen dann der Erzpriester und seine Leute den Verrat des Judas? Sicherlich sind diese Einwände sehr nüchtern, wenn Sie das Ganze als Dichtung nehmen. Aber wollen Sie nicht, daß es Wahrheit ist?«
      »Ich behaupte nicht, und niemand von uns behauptet«, sagte gelassen der Minäer Jakob, »daß der Bericht jenes Markus, wie mein Freund ihn aufzeichnete, Wahrheit im Sinn juristischer Akten enthält. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, daß ich nur dann die Kraft habe, Heilungen zu vollbringen, wenn meine Seele ein einziger Glaube ist an diesen Menschensohn Jesus von Nazareth.« Er sprach so einfach, als ob er sagte: Für diesen Golddariken kann ich Ihnen sechshundertzwölf Sesterzien, ein As und zwei Unzen geben.
      »Wenn der Bericht trotz seiner Unwahrscheinlichkeit wahr klingt«, versuchte der Acher Josef zu erklären, »dann wohl deshalb, weil ein P rinzip und eine W ahrheit nicht genügen, um die Welt zu begreifen. Es mögen die Taten und Meinungen vieler Messiasse sein, von denen dieser Johannes-Markus berichtet, wie sie in einem einzigen zusammengeflossen sind. Es wäre dann vielleicht falsch, von historischer Wahrheit, aber es wäre ebenso falsch, von Dichtung zu sprechen. Es ist beides in einem größeren Dritten.«
      Doktor Ben Ismael mit seiner milden, tiefen Stimme fragte: »Bitte, deuten Sie mir aus, warum ist Ihr Jesus von Nazareth gestorben?« – »Es geschah«, gab sachlich Jakob aus Sekanja Auskunft, »um die Menschen von der Sünde Adams, von der Erbsünde, zu erlösen. Denn es steht geschrieben: ›Das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an‹, und: ›Siehe, in der Sünde bin ich geboren worden, und in der Schuld empfing mich meine Mutter‹.«
      »So viel mag richtig sein«, sinnierte Ben Ismael, »daß der Bock, den wir in die Wüste schickten, und die fleckenlos reine rote Kuh, die wir opferten, eine zu bequeme Lösung war.« – »Eine Doktorenlösung«, warf höhnisch der Acher ein. Und Ben Ismael vollendete: »Es muß wohl wirklich ein lebendiger Mensch sein.« Und alle, auch Josef, dachten an jenen Versöhnungstag, da er sich mit Stab und Ranzen die Stufen des Lehrhauses hinaufgeschleppt hatte.
      Der Minäer Jakob, ohne die Stimme zu heben, doch entschieden, berichtigte: »Jesus von Nazareth hat die Sünde der ganzen Welt auf sich genommen, nicht nur eines V olkes.«
      »Es ist eine gefährliche Lehre«, überlegte Channah, »sie legt alles dem Heiligen auf die Knie. Sie stellt vieles frei. Predigt sie nicht den Heiligen auf Kosten des Gerechten? Und ist es nicht oft schwerer, gerecht zu leben als heilig zu sterben?«
      »Es scheint«, erwiderte trocken Jakob, und man mußte scharf aufmerken, um den Spott herauszuhören, »daß ihr mit eurer Gerechtigkeit nicht weit gekommen seid. War es nicht aus Gerechtigkeit, daß ihr den Heiligen getötet habt? Und hat nicht diese Gerechtigkeit dahin geführt,

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