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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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und den Doktoren nicht stimmt. Sie spüren, daß das Jerusalem im Geist, an dem die Doktoren bauen, noch enger, hochmütiger ist, als das steinerne, zerstörte war. Darum fallen so viele den Minäern zu.«
      Der junge Mensch rief sich zurück. »Ich lasse mich gehen«, entschuldigte er sich. »Sicher denken Sie: Lauter Ressentiments. Wie der Junge übertreibt, weil man ihn ausgeschlossen und verbannt hat. Vielleicht übertreibe ich, aber ich glaube, nicht sehr. Genug davon. Essen Sie, bitte, trinken Sie, schauen Sie sich meine Tabita an. Ich bin ein schlechter Wirt. Es ist mir lieber, Sie halten mich für ein Schwein aus der Herde des Epikur als für einen pathetischen Esel.« Er verzog sein fleischiges Gesicht zu einem Lachen. Allein Josef konnte sich die Trauer von diesem Gesicht nicht mehr wegdenken, auch wenn es lachte.
      Es war bei dem Acher, wo Josef den Minäer Jakob aus dem Dorfe Sekanja traf, den Wundertäter, von dem sein Leibeigener, der Gehorsame, ihm gesprochen hatte. Der Minäer Jakob war anders, als Josef ihn sich vorgestellt, ohne Aufmachung und Gewese, ein bartloser, einfacher, höflicher Herr; in Rom hätte man ihn für einen Bankier oder Rechtsberater gehalten. Der Minäer Jakob hatte sich bereit erklärt, dem Acher und seinen Freunden eine Biographie und eine Sammlung von Aussprüchen des Jesus von Nazareth vorzulesen, die einer seiner Glaubensbrüder niedergeschrieben hatte.
      Die Freunde, die der Acher noch geladen, waren Doktor Ben Ismael und dessen Frau, Channah. Ben Ismael, ein langer Herr mit milden, fanatischen Augen unter einer mächtigen, kahlen Stirn, sprach ruhig und wenig, doch mit einer tiefen, den Raum groß füllenden Stimme; trotz der Kraft seiner Erscheinung ging von ihm eine unendliche Müdigkeit aus. Um so lebendiger wirkte Channah; sie war jung, schön, heftig und führte die Sache ihres Mannes stürmisch und beredt.
      Der Minäer Jakob begann bald zu lesen. »Es handelt sich«, sagte er einführend, »um die Geschichte und um Aussprüche des Jesus von Nazareth, des Menschensohnes, wie sie ein Freund von mir nach dem Bericht eines gewissen JohannesMarkus, eines geborenen Judäers, für unsere kleine Gemeinde in Rom aufgezeichnet hat.« Und er las vor, ein wenig im Singsang, wie er an den jüdischen Schulen üblich war, und mit stark aramäisch gefärbtem Griechisch, eine kurze Erzählung vom Leben des Jesus, eines Zimmermanns aus Galiläa, begnadet mit der Kraft eines Wundertäters. Er heilt Sieche, gibt Blinden das Augenlicht zurück, treibt aus Besessenen die bösen Geister. Auf solche Weise erwirbt er sich das Vertrauen des gemeinen Volkes. Er nimmt den Kampf mit den hochmütigen Doktoren auf und erregt durch absichtliche Verletzung der Sabbat- und der Speisegesetze ihr Ärgernis. Dann zieht er nach Jerusalem und streitet wider die Sadduzäer, die da halten, es sei keine Auferstehung, und gegen die »Rächer Israels«, denen er sagt, man solle dem Kaiser geben, was des Kaisers sei. Bald ist es so weit, daß er vor Gericht zitiert wird. Der Große Rat verurteilt ihn zum Tode und überstellt ihn dem Gouverneur Pilatus. Widerwillig nur, bedrängt von den Juden, befiehlt der Römer die Exekution des Menschensohnes. Der stirbt am Kreuz, wird von einem Josef von Arimathia begraben, ersteht auf und begabt seine Jünger mit der Kraft, Wunder zu tun und seine Offenbarung aller Kreatur zu predigen. In diese Erzählung eingestreut waren Sentenzen, Lobpreisungen der
    Armut, Gleichnisreden.
      Josef hörte gut zu. Der Mann mit seinem Alltagsgesicht und seiner Alltagsstimme war sichtlich selber ergriffen von dem, was er vorlas. Merkwürdig eigentlich; denn was war das im Grunde anderes als Wundergeschichten, wie Josef sie oft gehört hatte, agitatorische Angriffe auf die Doktoren, hundertfach erzählte und widerlegte Berichte über solche, die sich für den Messias ausgegeben. Die Lehre der Minäer schien Josef wirklich nur für Leute geeignet, die sehr einfachen Geistes waren. Erstaunt nahm er wahr, daß die andern nicht seiner Ansicht schienen, daß sie vielmehr bewegt zuhörten, mit etwas leeren, aber hingegebenen Gesichtern, wie man wohl guter Musik zuhört. »Dies ist die Botschaft, wie sie mein Freund den Minäerbrüdern in Rom verkündet«, sagte schließlich Jakob aus Sekanja, rollte das Büchlein zusammen und steckte es zurück in den Behälter.
      Alle schwiegen lange. Man hörte nur das starke Atmen des Acher. Josef schien es, als erwarte man, daß er, der

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