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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Allerheiligste, das, Hunderte von Jahren hindurch, niemand hatte betreten dürfen, nur der Erzpriester am Versöhnungstag. Jetzt war der Fels wieder nackt, wie er vor zwei- oder dreitausend Jahren gewesen sein mochte, nichts darüber als der leere, blaue Himmel, nichts ringsum als Schutt und die römischen Soldaten, die diese Ödnis zu bewachen hatten, auf daß sie öd bleibe für die Ewigkeit.
      Es war brütend heiß, die Luft flirrte, Mücken summten. Ein häßlicher Hund, er gehörte wohl einem der Soldaten, lief über den Schutt, dem Allerheiligsten zu, und bekläffte bösartig den einsamen Mann. Der kauerte da, den Mund halb offen, die Glieder schwer, über und über bestaubt. In ihm waren die maßlosen Klageverse des Jeremias. »Ach und weh, wie hockt verlassen die Stadt, die volkreiche, einer Witwe gleich, die Herrin über die Völker. Sie heult in der Nacht, ihre Tränen bleiben auf ihren Wangen, niemand tröstet sie von allen ihren Freunden. Weicht aus, unrein, ruft man vor ihr, weicht aus, rührt sie nicht an. Es reißen ihren Mund auf über sie alle ihre Feinde, pfeifen, zeigen hohnjubelnd ihre Zähne: der haben wir’s gegeben, die ist hin. Ach und weh. Jahve brach wie ein Dieb in sein eigenes Haus und zertrat seinen Festplatz.« Nicht jedermann ist es gegeben, daß ihm alte Verse Bilder und eigenes Gut werden. Dem Josef aber in dieser Stunde wurde die verschollene Klage Bild und ewiger Besitz, nicht mehr trennbar von seinem Wesen.
      Staubig inmitten des mißfarbenen Schuttes sank er immer kleiner in sich zusammen, immer tiefer drang die Wüstheit des Ortes in ihn ein. Ein bohrendes Fragen war in ihm: warum? Warum brach Jahve ein wie ein Dieb in sein eigenes Haus? Josef kennt die Zusammenhänge. Er weiß genau, wie Titus die Zerstörung des Tempels gewollt und doch nicht gewollt hat. Es war klar, Titus war nur ein Werkzeug. Und es war lächerlich, zu glauben, daß dieser Hauptmann Pedan, die scheußliche Hand, die den Feuerbrand geworfen, mehr war als ein Werkzeug. Warum also? Die Antwort der Römer taugt nichts, und nichts die Antwort der Doktoren, und nichts die Antwort der Minäer. Schuld war da, soviel war gewiß, in Rom und in Judäa, unter den Doktoren und unter dem Volk, und Schuld, ungeheure, war in ihm selber. »Ja und ja, ich habe gesündigt, ja und ja, ich habe gefrevelt, ja und ja, ich habe gefehlt.« Aber wo begann die Schuld, und wo endete sie?
      Ein scharfes Schmettern riß ihn hoch. Einen winzigen Augenblick lang dachte er, es sei die Magrepha, die hunderttonige Schaufelpfeife, die früher von hier aus mit ihrem Gedröhn den Beginn des Tempeldienstes verkündet hatte, hörbar bis Jericho. Aber dann sah er, daß es die Hörner und Trompeten waren, die das Ende des militärischen Tages ankündigten. Sie schmetterten über die Wüstenei, einiges Gelärm war, Aufziehen und Ablösen von Wachen, Kommandorufe. Dann dämmerte es. Josef machte sich auf den Heimweg, zerschlagen.
      Oberst Gellius und seine Soldaten waren froh, als sie den sonderbaren Gast fortreiten sahen.
      Jetzt endlich, nachdem er soviel vom Lande gesehen, entschloß sich Josef, Jabne aufzusuchen, die Stadt, die nach dem Fall Jerusalems den Juden als ihre Hauptstadt galt; denn hier war der Sitz der jüdischen Universität und des Großen Rats.
      Josefs Ankunft erregte die Doktoren und die Bevölkerung. Was sollte man tun? War der Bann noch wirksam, den einstmals Jerusalem gegen ihn ausgesprochen hatte? Man wußte natürlich, daß er in der Stadt Lud mit Ben Ismael, mit dem Acher und mit dem Minäer Jakob freundschaftlichen Verkehr gepflogen hatte. Er hatte vieles getan, dessenthalb man ihn vor das Gericht der Doktoren hätte zitieren und aus dem Judentum ausschließen können. Wenn man Doktor Jannai zum Acher, zum Ketzer gestempelt hatte, dann war dieser Josef Ben Matthias der Erzketzer. Andernteils war er in Rom mehrmals und mit Erfolg für die Gesamtheit der Juden, auch für die Universität eingetreten. Seine Gegenwart in Jabne war erregend, unbehaglich.
      Der Großdoktor löste das Problem rasch und entschieden. Er lud Josef auf ungewöhnlich höfliche und herzliche Art zur Mahlzeit.
      Josef war voll unruhig gespannter Erwartung, als was für eine Art Mann sich dieser Gamaliel erweisen werde, den die Juden zu ihrem Führer gewählt und den die Römer als solchen anerkannt hatten. Des Großdoktors Vater war Vizekanzler jener nationalen Jerusalemer Regierung gewesen, die vergeblich versucht hatte, den

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