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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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gewöhnlich nur, wenn er seiner eigenen Erkenntnis Bestandteile aus der Dummheit der Masse beimischt.«
      Josef fühlte sich unbehaglich. Justus, sehr höflich jetzt und wieder griechisch, sagte: »Glauben Sie, bitte, nicht, mein Josephus, daß ich mich über Sie lustig mache. Warum sollten Sie nicht um des Erfolges willen schreiben? Daß Sie gewisse unanständige Lügen geschrieben haben, hat Ihnen eine Büste im Friedenstempel eingebracht. Fast alle werden finden, das lohnt.«
      Und nochmals änderte sich sein Gesicht, er nahm eine listige und zugleich resignierte Miene an und rückte dem Josef näher. »Ich will Ihnen ein Geheimnis mitteilen«, sagte er. Und mitten in dem Lärm des Hafens von Cäsarea, als wären sie ganz allein, brachte der dünne, kümmerliche, krüppelhafte Mann seinen Mund ganz nahe an Josefs Gesicht und sagte ihm sein Geheimnis ins Ohr: »Auch die Verbreitung der reinsten subjektiven Erkenntnis macht einem keine unbedingte Freude mehr, wenn man erst auf folgendes gekommen ist: daß alle Erkenntnis nur aus dem Streben entsteht, Beweisgründe für die eigene Art zu sammeln, daß alle Erkenntnis nur Mittel ist, das eigene Wesen herauszuarbeiten, gegen die Welt zu behaupten. Und wenn eine Erkenntnis nicht geeignet ist, das eigene Ich zu bestätigen, dann deutelt man so lange an ihr herum, bis sie es ist.« Und kichernd, nach der Melodie eines beliebten Gassenhauers, sang er ein Sprüchlein vor sich hin, das wahrscheinlich erst entstand, während er es sang: »Dir erkennbar ist nur, was geeignet ist, / Dir jeweils zu bestätigen, / Daß du dich nach Lust betätigen / Und sein darfst, was du bist.«
      Josef wagte nicht, dem andern in die Augen zu schauen. »Warum verkleinern Sie unsere Arbeit, Justus?« klagte er.
      »Unsinn«, lehnte unwirsch Justus ab. »Ich halte meine Arbeit nicht für gering.«
      Josef aber, so tief ihn die Worte des andern trafen, spürte das Bedürfnis, solche Worte immer wieder zu hören. Er schaute auf das Schiff »Glück«. »Wollen Sie mit mir nach Rom kommen, Justus?« bat er. »Ich brauche Sie.«
      »Ja«, sagte barsch Justus.

    FÜNFTES BUCH
    Der Weltbürger

          s war kalt, trüb und windig, als Josef mit Justus in Rom ankam. Trotzdem spürte er schon in der Sänfte, die ihn
          nach seinem Hause trug, ein tiefes Wohlgefühl, wieder in der Stadt zu sein. Er begriff nicht mehr, wie er vor kaum acht Monaten Judäa als seine Heimat hatte grüßen, wie er hatte fürchten können, in Rom werde er sich fremd fühlen. Gewiß, hier ist alles kahler, farbloser als in Judäa. Aber man kann nicht immer in einer Luft leben, die so anstrengend ist und zehrend wie die seiner Heimat, man kann nicht sein Dasein zu einem ewigen Buß- und Gerichtstag machen. Seine Reise nach Judäa war ein großes, heroisches Zwischenspiel gewesen. Hier in Rom ist sein Alltag, tätig, nüchtern, schmutzig. Hierher gehört er, der Welt gehört er, nicht der kleinen, leidenschaftlichen Provinz Judäa.
      Noch am gleichen Tag nötigte er Justus, mit ihm durch die Stadt zu gehen. Noch tiefer jetzt schmeckte er das Gefühl der Heimkehr. Jedem Haus, jedem Stein hätte er zunikken wollen. Die Menschen bis herunter zu den schreienden Straßenhändlern, selbst die Tempel und Statuen der Götter gehörten zu ihm, waren ein Teil von ihm. Er war Judäa dankbar, daß es ihn so tief spüren ließ, wie sehr er Rom und der Welt gehörte.
      Justus war schweigsam. Er ging durch die Stadt, ein kritischer Beschauer; er war lange nicht hier gewesen. In seinem Alexandrien war Leben und Verkehr bewegter. Doch die neue Dynastie, Vespasian und Titus, hatte es verstanden, auch am äußern Bilde Roms sichtbar zu machen, daß hier das Zentrum des Erdkreises war. Josef wies seinem einsilbigen Begleiter die neuen, weiß und goldenen Gebäude der Flavier, als wären sie sein eigenes Werk, prahlte mit dem Wachstum und der Größe der Stadt, seiner Stadt. Als sie an das Forum gelangten, kam gar die Sonne ein wenig heraus, man konnte unter der Rednertribüne an der Sonnenuhr, die man als das Herz der Welt ansah, die Zeit ablesen: Josef strahlte kindlich übers ganze Gesicht.
      Aber als sie zum Marsfeld kamen, war es wieder wolkig, ein Geriesel aus Schnee und Regen kam vom Himmel, es wurde richtig winterlich, und sie beeilten sich, unter die neuen, nach dem Brand wiederhergestellten Arkaden zu flüchten. Die Leute dort fröstelten in ihren Mänteln, hatten rote Nasen, räusperten sich,

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