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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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hüstelten. Josef hielt seine Bekannten an. Die standen ihm nur widerwillig Rede, bemühten sich, kurz zu sein, traten ungeduldig von einem Fuß auf den andern, strebten aus der Kälte fort. Doch Josef suchte das Gespräch hinauszuziehen, fragte sie dies und jenes, stellte ihnen Justus vor. Die lateinischen Laute, vor denen ihm in Judäa unbehaglich gewesen war, klangen ihm lieblich ins Ohr, seine Augen hatten Freude an den römischen Gesichtern, den römischen Kleidern. Diese Leute waren römische Bürger, und römischer Bürger war er.
      Justus blieb schweigsam, aber er machte sich nicht über Josef lustig. Sie gingen jetzt über das Forum des Vespasian. Ein weißes, mächtiges Gebäude stieg vor ihnen auf. »Der Friedenstempel?« fragte Justus, aber es war mehr eine Konstatierung als eine Frage. Die andern neuen Bauten hatte Josef vielwortig erklärt, an diesem wollte er einsilbig vorbei. Doch Justus blieb stehen. Leicht fröstelnd, behindert durch den fehlenden Arm, hüllte er sich dichter in seinen Filzmantel, betrachtete das Gebäude. »Wollen wir nicht hineingehen?« forderte er Josef auf. Der schaute ihm schräg ins Gesicht, argwöhnisch, ängstlich vor dem Augenblick, da Justus vor seinem Ehrenbild stehen werde. Allein das hagere Antlitz des Justus zeigte keinen Spott, nichts als Wißbegier. Josef zuckte die Achseln, sie stiegen die Stufen hinauf. Gingen vorbei an der Friedensgöttin, die sanft und ruhevoll im Schutz ihrer beiden Kaiser stand, vorbei an den prunkenden Gemälden und Statuen, an den Trophäen des jüdischen Krieges, dem siebenarmigen Leuchter, den Schaubrottischen. Justus ging langsam, betrachtete alles genau, atmete stark. Keiner von beiden sagte ein Wort.
      Sie durchschritten die Bibliothek. Vor ihnen öffnete sich weit und still ein Saal. »Der Ehrensaal?« fragte Justus. Josef nickte. Oft war er und in peinlichen Situationen vor das Antlitz von Männern getreten, die sein Schicksal in ihrer Hand hatten, doch nie hatte er ein so prickelndes Unbehagen gespürt wie jetzt, da er mit Justus vor seine Büste treten soll.
      Groß und ruhig lag die Halle, die wenigen Menschen, die sich an diesem Tag hergewagt hatten, verloren sich in ihr, fröstelnd in der Ecke hockte der Diener. Sie traten ein. Standen vor den Erztafeln, auf denen die Namen der einhundertachtundneunzig eingemeißelt waren, die als die großen Schriftsteller aller Zeiten galten. Lange verweilte Justus, las sorgsam Namen für Namen, seine Lippen bewegten sich, während er las. Josef beschaute ihn gespannt, er zitterte vor Kälte, dabei schwitzte er vor Erregung, das Herz stieß ihm gegen die Rippen. Justus stand und las, und Josef sah ihn an, und Justus lächelte nicht. Wieder überkam Josef das erbärmliche Gefühl des Schuljungen, der seine Aufgabe nicht gelernt hat.
      Endlich löste sich Justus von den Tafeln. Sie machten sich daran, die Bildsäulen zu beschauen, eine nach der andern, wie sie die eirunde Wand des Saales entlang standen. Jetzt waren sie am Kopf des Josef. In seinem korinthischen Erz schimmerte er, über die Schulter gedreht, hager, fremdartig, augenlos und doch voll wissender Neugier, hoch und hochfahrend. Der lebendige Josef sah jetzt keineswegs hochfahrend aus, seit langem hatte ihn keiner so klein gesehen. Was suchte sein Bild unter den Bildern dieser andern? Sein Ruhm war erschlichen; er war, nun dieser Justus das Bild beschaute, wie ein Dieb vor dem Bestohlenen.
      Aber Justus, nach einem endlosen Schweigen, sagte nur: »Dieser Basil ist ein großer Künstler.« Und als sie den Saal verließen, sagte er: »Einer fehlt, und es wäre vielleicht auch für Sie gut gewesen, wenn seine Büste vor der Ihren hier aufgestellt worden wäre.« – »Ja«, sagte demütig Josef, und er begriff selber nicht, wie er hatte zulassen können, daß ihm ein Bild in diesem Raum errichtet wurde, solange kein Bild des Philo darin stand.
      Er fragte sich, was wohl in Justus vorgegangen sein mochte, während er das Ehrenbild beschaute. Justus war nicht neidisch, dazu war er zu stolz, aber es wäre ein Wunder gewesen, wenn ihn nicht die Läufte der Welt mit Bitterkeit erfüllt hätten. Justus blieb, gegen seine Gewohnheit, dunkel und sagte, während sie den Tempel verließen, nur: »Man hat es nicht leicht, als Jude demütig zu bleiben. Man braucht nicht viel Prophetentum, bloß ein wenig literarisches Urteil, um zu wissen, daß von all denen, die in unserm Jahrhundert griechisch schreiben, nur drei ihre Zeit

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