Die Söhne.
verneinte. Er führte viele Gründe an. Die Epidemie kam ihm nicht gelegen. Er ist ein großer Diagnostiker, aber für die Seuche braucht man keinen Diagnostiker, sie tritt so auf, daß jedes Kind die Symptome im ersten Augenblick erkennt. Nein, in Rom ist jetzt nicht viel Ansehen für ihn zu holen. Die Stadt ist sowieso geneigt, ägyptische, jüdische und griechische Ärzte vorzuziehen. Daß die Griechen und Ägypter auf dem Gebiet der Seuchenbekämpfung mehr Erfahrungen haben als er, ist unbestreitbar.
Der Leibarzt Valens ist ein kalter, müder Mann, ein Realist. Er hat erreicht, was er erreichen kann, hat zahllose Anhänger, hat eine neue Schule gegründet. Leicht hat man ihm seine Karriere nicht gemacht. Er wäre trotz seiner neuen Methoden nicht hochgekommen, wenn er nicht ein paar Damen der Aristokratie in einigen kritischen Fällen mit Erfolg zum Abort verholfen hätte. Auch dann war es nicht ganz einfach gewesen. Wohl hatte er die höchsten Honorare in Rom erzielt, aber noch Jahre hindurch nahm man ihn nicht für voll, und gewisse hochnäsige jüdische und griechische Kollegen behandelten ihn ganz offen als Scharlatan. Erst als Titus ihn zu seinem Leibarzt machte, hatte das Gerede aufgehört. Jetzt hatte er Geld und Ruhm und war überdies der Vertraute des Titus. Mitregent in einem gewissen Sinn. Er war auf dem Gipfel.
Wer aber einmal so hoch geklettert ist, hat es schwer, sich zu halten. Ist nicht schon ein kleiner Abstieg da? Es war mit Titus in den letzten Wochen eine Veränderung vorgegangen die für den Arzt Valens einen Erfolg, für den Menschen Valens aber eine Gefahr bedeutete. Titus war frischer, selbständiger geworden, drohte ihm zu entgleiten. Jetzt kam noch diese Seuche hinzu, die gewisse andere sicher zum Anlaß benutzten, sich in den Vordergrund zu drängen.
Schon am nächsten Tag mußte Valens erfahren, daß seine Befürchtungen nicht grundlos waren. Als nämlich Claudius Regin eintraf, beriet der Kaiser lange mit ihm, ohne Valens zuzuziehen. Es wurden aber an diesem Tage dreihundertdreiundvierzig Tote gemeldet, den Tag darauf über vierhundert. Es war eine andere Art von Seuche als die bisher beobachtete, sie trat nicht mit schwarzen Beulen auf, sondern mit starken Durchfällen und einer erschreckenden Durchkältung der Haut sowie des ganzen Körpers. Die jüdischen und griechischen Ärzte rühmten sich, in einigen Fällen Heilung erzielt zu haben. Auch wandten sie neue Präventivmethoden an, anscheinend mit Erfolg. Valens war erbittert.
Viele der Wohlhabenden, trotzdem sie jetzt, zu Ende des Sommers, gerade erst von ihren Landgütern zurückgekehrt waren, verließen die Stadt aufs neue. Titus, gegen den Rat der Ärzte, kehrte in die Stadt zurück. Claudius Regin hatte ihm vorgestellt, daß er, nachdem seine Gegner das Auftreten der Seuche als ein neues Zeichen der Götter gegen ihn ausbeuteten, jetzt erst recht zeigen müsse, ein wie guter Vater er seinen Römern sei.
In der Stadt erreichte ihn ein Schreiben der Berenike. Sie fand, es sei nicht gut, ihre Wiedervereinigung zu feiern, solange die Epidemie in Rom wüte. Sie hoffe, daß die Seuche schon in zwei oder drei Wochen derart eingedämmt sein werde, daß sie kommen könne. Des Titus erster Gedanke, als ihn die Nachricht vom Auftreten der Epidemie erreichte, war gewesen, daß er nun noch länger auf Berenike werde zu warten haben. Jetzt fragte er sich, ob er ihr nicht nach Griechenland entgegenfahren solle. Allein schon im nächsten Augenblick verwarf er diesen Plan. Er war seiner sicher, er war Berenikes sicher, er wollte vor seinen Römern nicht feig erscheinen. Die Seuche war ein gutes Omen, sie gab ihm Gelegenheit, sich zu bewähren.
Es erwies sich auch, daß die Römer ihm diesmal sein Verhalten hoch anrechneten; ja, sie fanden, daß seit der Ankunft des Walfischs die Seuche abnahm.
Dorion hatte, sowie das erste Geflüster über die Seuche sie erreichte, dem Josef vorgeschlagen, die Stadt zu verlassen; denn trotz der Anwesenheit des Kaisers flüchtete jetzt, wer immer es sich leisten konnte. Die Villa bei Albanum war nicht fertig, aber zur Not konnte man dort hausen, und man wird ja ohnedies die meiste Zeit im Freien verbringen. Josef fand es vernünftig, daß sie mit dem Jungen aus dem verseuchten Rom fortwollte. Aber er haßte die Villa bei Albanum, er schlug vor, nach Campanien zu gehen. Sie beharrte, es kam zu heftigen Worten, und es zeigte sich, daß ihre Versöhnung Flickwerk gewesen war.
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