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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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nicht genug hören. Stämmig saß er dem Vater gegenüber, aufmerksam aus dem eirunden Gesicht schauten seine schnellen Augen, unermüdlich fragte er nach jedem Detail. Sehr bald wußte er genau den Unterschied zwischen einem Oxybol und einem Petrobol, zwischen einem Geradspanner, einem Euthyton, und einem Winkelspanner, einem Palyton. Er wußte, wie ein Geschütz konstruiert wird, dessen Spanner nur einmal zwischen den Spannbolzen hinläuft, und eines, dessen Nerv nach dem ersten Umlauf wieder denselben Weg zwischen den Spannbolzen zurücklegt. So interessiert war er an diesen Dingen, daß er, seine Schreibfaulheit überwindend, sich das Wichtigste notierte und der Mutter mehrmals laut vorlas, um es ja zu behalten. Und Mara freute sich ihres klugen Sohnes.
      In dem Müßiggang dieser Seuchenwochen entstand im Kopf des Knaben Simeon ein verschmitzter Plan. Josef hatte ihm von einem sehr wirksamen Geschütz der Juden erzählt, einem Katapult, genannt »Die Große Deborah«. Es war offenbar ein genial konstruiertes Geschütz gewesen; der Erfinder hatte den verblüffenden Einfall gehabt, die waagrechte Welle am hintern Ende der Geschoßführung durch einen Flaschenzug mit der Bogensehne zu verbinden. Die Geschoßlänge dieser Kriegsmaschine betrug 1,36, ihr Geschoßdurchmesser 0,148, ihre Tragweite 458,20 Meter. Simeon wollte nun die erzwungene Muße der langweiligen Wochen, die ihn ans Haus fesselten, dazu benutzen, ein Modell dieser »Großen Deborah« anzufertigen, obendrein mit einer Verbesserung: eine Art Handspeiche sollte es ermöglichen, die Bogensehne mühelos und sehr schnell bis zum Abzug zurückzuwinden. Mit diesem Modell wollte er seinen Vater überraschen.
      Als er aber an die Ausführung ging, mußte er erkennen, daß er mit zwei Händen nicht auskam, daß zumindest vier Hände notwendig waren. Er vertraute sich seiner Mutter an, sie half ihm nach Kräften, aber ihre Beflissenheit nützte wenig; Frauen waren eben für so männliche Angelegenheiten nicht zu brauchen. Seinen Freund hätte er dahaben müssen, seinen Kameraden Constans.
      Der aber hatte sich seit dem Ausbruch der Epidemie nicht mehr sehen lassen. Da man dem Simeon eingeschärft hatte, wegen der Ansteckungsgefahr so wenig wie möglich mit andern zusammenzukommen, hatte wohl sein Freund Constans ähnliche Weisung erhalten. Allein jetzt, da es um die »Große Deborah« ging, fand Simeon diese Ängstlichkeit übertrieben und machte sich auf den Weg, seinen Kameraden zu besuchen. Der Mutter, die ihn zurückhalten wollte, sagte er, er müsse sich Schnitzholz für sein Modell besorgen.
      Doch im Haus des Freundes hatte er ein böses Erlebnis. Des Constans Vater nämlich, der Hauptmann Lucrio, hatte während seiner Dienstzeit in der Armee ein paar unangenehme Epidemien miterlebt, seine Leute waren gestorben wie Fliegen an kalten Tagen, er war, als jetzt die Seuche in Rom ausbrach, nervös geworden. Seine Mittel erlaubten ihm nicht, die Stadt zu verlassen; aber in seiner Wohnung wenigstens traf er alle Vorsichtsmaßnahmen. Er opferte zweimal täglich auf dem kleinen Hausaltar, hielt ständig ein mit Essig getränktes Tuch vor die Nase, verbrannte Sandelholz, um durch den Rauch die Ansteckungskeime zu vertreiben, vermied alles, was die Götter reizen könnte, und hatte seinem Sohn Constans den Verkehr mit Simeon streng untersagt, damit der sich nicht durch den Umgang mit einem Juden, einem Gottlosen, beflecke. Voll Schrecken und Zorn also wich der Hauptmann, sowie er den Simeon kommen sah, vor dem erstaunten Knaben zurück und überschüttete ihn mit wüsten Schimpfreden. Er solle sich scheren, er verpeste mit seinem Atem die Luft und mache jeden aussätzig, der in seine Nähe komme. Seine alte Judensau – er meinte Berenike, aber das begriff Simeon nicht – sei schuld an der ganzen Seuche, und wenn er sich nicht verziehe, und das mit der Schnelligkeit eines gehetzten Hasen, dann werde er, der Hauptmann Lucrio, ihn kunstgerecht zu Ragout verarbeiten. Simeon zog ab, seine Verblüffung war fast noch größer als seine Scham und sein Zorn.
      Weder dem Vater noch der Mutter sprach er von dem seltsamen Benehmen des Hauptmanns. Das war eine Sache zwischen ihm und diesem. Aber um so beflissener dachte er über den Hauptmann nach, seine Wut und seine Worte. Lucrio war ein barscher Herr, das wußte er, er hatte auch früher schon gelegentlich judenfeindliche Äußerungen getan. Allein Simeon war nicht nachträgerisch, er selber pflegte viel und

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