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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Demetrius Liban über den Ursprung des jüdischen Krieges denken. Du warst an diesem Krieg nicht unbeteiligt, mein Johann. Willst du uns nicht sagen, was du dazu meinst?«
      »Wenn hier der große Schauspieler Demetrius Liban erklärt«, meinte sachlich Johann, »der Streit um einige Sitze im Magistrat von Cäsarea sei die Ursache des Krieges gewesen, so behaupten die Doktoren von Jabne, die Sünden Israels trügen die Schuld, und die jüdischen Nationalisten sagen, die Übergriffe der römischen Gouverneure. Die ›Gläubigen‹ wieder, die sogenannten Minäer oder Christen, sind der Ansicht, schuld am Kriege und seinem Ausgang sei ein Prozeß gegen einen gewissen falschen Messias. Sie sehen, meine Herren, die Meinungen sind geteilt.« Er verstummte, strich nachdenklich seinen kurzen Knebelbart und schaute wieder bescheiden aus seinen grauen, verschmitzten Augen der Reihe nach über die Gesichter seiner Hörer. »Auch unser Flavius Josephus«, sagte liebenswürdig Marull, »führt in seinem berühmten Buch eine ganze Reihe patriotischer und religiöser Motive an. Aber«, munterte er den Bescheidenen auf, »was meinst du, mein Johann?« – »Ich meine«, sagte Johann und schaute dem Josef gerade und voll ins Gesicht, »im Grunde sind die Ursachen des Krieges viel einfachere und viel tiefere.«
      Josef hatte beschlossen, sich an dieser unwürdigen Debatte mit seinem alten Feind Johann nicht zu beteiligen; dennoch, wider seinen Willen, riß es ihm jetzt den Mund auf. »Was sind denn das für geheimnisvolle Ursachen?« fragte er hochmütig, bösartig.
      »Das will ich Ihnen sagen, Doktor Josef«, erwiderte friedfertig Johann, »freilich lieber aramäisch. Wir beide sprechen ja das Aramäische besser und haben uns oft auf gut aramäisch unterhalten. Aber wir wären dann wohl unhöflich gegen die andern Herren, meine ich. Also, schlecht und lateinisch. Ich selber habe zu Anfang des Krieges seine Ursachen nicht besser gekannt als Sie, vielleicht auch habe ich sie nicht kennen wollen. Jedenfalls habe ich meinen Bauern, als ich sie in den Krieg hetzte, um sie in Stimmung zu bringen, genauso wie Sie tausendmal vorgeredet, daß es ein Krieg Jahves gegen Jupiter sei, und ich habe es auch geglaubt. Ich war, wie Sie schreiben, einer der Anstifter und Führer, ich habe den ganzen Krieg mitgemacht, ich war oft und abermals nahe daran, umzukommen. Dann wäre ich sonderbarerweise verreckt, ohne recht zu wissen, worum eigentlich dieser Krieg ging.«
      »Und jetzt wissen Sie es?« fragte immer mit der gleichen bösartigen Kälte Josef.
      »Ja«, erwiderte ruhig, fast freundlich Johann von Gischala. »Nach dem Krieg, im Dienst dieses milden Senators Marull, hatte ich Zeit, es mir zu überlegen. Und ich habe es auch herausbekommen.« – »Los endlich«, ermunterte ihn Marull. »Es ging damals«, fuhr Johann fort, »nicht um Jahve und nicht um Jupiter: es ging um den Preis des Öls, des Weins, des Korns und der Feigen. Hätte eure Tempelaristokratie in Jerusalem«, wandte er sich mit freundlicher Belehrung an Josef, »nicht so gemeine Steuern auf unsere mageren Produkte gelegt, und hätte Ihre Regierung in Rom«, wandte er sich ebenso freundlich-sachlich an Marull, »uns nicht so niederträchtige Zölle und Abgaben aufgebrummt, dann wären Jahve und Jupiter noch lange ausgezeichnet miteinander ausgekommen. Hier in Rom konnte der Liter Falernerwein für fünfeinhalb Sesterzien verkauft werden, wir mußten unseren Wein für dreiviertel Sesterzien verschleudern und davon fast noch einen halben Sesterz Steuern abgeben. Wenn man sich das nicht klarmacht und wenn man nicht unsere Vorkriegspreise für Korn mit denen hier in Italien vergleicht, dann weiß man von den Ursachen des Kriegs, auf gut galiläisch, einen Dreck. Ich habe Ihr Buch sehr aufmerksam gelesen, Doktor Josef: Preise und Wirtschaftsziffern habe ich keine darin gefunden. Lassen Sie mich, einen einfachen Bauern, Ihnen sagen: Ihr Buch mag ein Kunstwerk sein, aber wenn man es gelesen hat, weiß man über das Warum und Wieso des Krieges keinen Deut mehr als vorher. Das Wichtigste haben Sie nämlich leider ausgelassen.«
      Regin hatte sich erhoben; seinen Becher in der Hand – er trank den Wein wegen seines schlechten Magens gewärmt –, ging er auf und ab, manchmal einen unartikulierten Brummlaut ausstoßend, der nach Zustimmung klang. Josef, um seine Gleichgültigkeit zu zeigen, kaute unhöflich an einem Stück Konfekt. Liban hatte eine hochmütig ironische

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