Die Söhne.
abgeleierte, routinierte Worte waren. Er schlief mit ihr. Er verspürte Lust. Doch er wußte, daß auch andere Frauen ihm die gleiche Lust hätten verschaffen können.
Es war seltsam, daß die sonst so geistesschnelle Berenike während der ganzen langen Mahlzeit nicht gemerkt hatte, wie es um Titus stand. Ihr Bruder hatte es sogleich erkannt; aber er hatte es nicht über sich gebracht, sie aus ihrer Täuschung zu reißen. So mußte sie erst im Laufe der Nacht und von allein auf die Wahrheit kommen. Es dauerte sehr lange, bis sie daraufkam. Sie wollte sich nicht eingestehen, was war, und als sie es sich eingestehen mußte, machte sie eine neue Erfahrung: daß es nämlich Schmerzen gab, die bitterer waren als die ihrer letzten Monate.
Als Titus sie noch vor Mitternacht verließ, mit freundlichen, leicht verliebten Worten, wußten beide, daß es zwischen ihnen für immer zu Ende war.
Den Rest der Nacht lag Berenike leer, ausgehöhlt. Nun die Anspannung ihrer letzten Monate von ihr abfiel, überkam sie Erschöpfung, alle Glieder taten ihr weh, sie glaubte, sie werde sich niemals mehr von dieser schmerzhaften Erschöpfung befreien können. Eine Lampe brannte. Sie dachte: Diese korinthischen Lampen hat man jetzt Jahrzehnte hindurch gesehen, man hat sich müde daran gesehen, sie sind banal, die karthagischen sind viel besser, man müßte es Titus sagen, er darf die korinthischen nicht mehr verwenden. Dieses dachte sie mehrmals. Dann wieder überkam sie das Gefühl ihrer lastenden Müdigkeit, ihr Fuß schmerzte unerträglich. Sie wollte ein Schlafmittel nehmen, aber sie scheute die Anstrengung, ihre Kammerfrau zu rufen. Endlich schlief sie ein.
Andern Morgens, ziemlich früh schon, war ihr Bruder bei ihr. Er fand sie gefaßt. Nichts mehr war an ihr von der kramp figen Intensität, mit der sie sich bisher zusammengerafft hatte. Vielmehr war sie voll von einer großen Ruhe. Aber der Glanz war fort, jener Zauber, den selbst ihre Gegner nicht geleugnet hatten.
Agrippa blieb zum Frühstück. Berenike aß mit gutem Appetit. Sie teilte dem Bruder ihre Entschlüsse mit. Sie wolle so bald wie möglich nach Judäa zurückkehren, um den Winter auf ihren dortigen Besitzungen zu verbringen. Sie denke, der Kaiser werde noch eine Abschiedsfeier für sie veranstalten. Es war das erstemal an diesem Tag, daß sie Titus erwähnte, und es tat Agrippa in der Seele weh, wie er sagen hörte: »der Kaiser«. Im übrigen, fuhr sie fort, wolle sie hier nur mehr mit zwei Leuten zusammenkommen, mit ihrem Rechtsvertreter Quintilian und ihrem Chronisten Josef Ben Matthias. Sie sprach mit solcher Entschiedenheit, daß es sinnlos gewesen wäre, mit ihr zu debattieren. »Willst du, daß ich dich begleite, Nikion?« fragte Agrippa. Berenike hatte offenbar auch diese Frage schon vorbereitet. »Das wäre natürlich schön«, erwiderte sie. »Aber es scheint mir aus vielen Gründen ratsam für uns beide, daß du zur Eröffnung des Amphitheaters in Rom bleibst.«
Agrippa war ein weiser, weltkluger Herr. Er hatte viel Schicksale sich wenden und vollenden sehen, ungeheure Umschwünge einzelner Männer und ganzer Völker, er glaubte sich auf Menschen zu verstehen, und mit Berenike war er seit ihrer Geburt aufs innigste verknüpft. Er war auf vieles gefaßt gewesen, aber nicht auf diese kühlen, ruhigen Erwägungen. War das Nikion, seine Schwester?
Er nahm ihre Hand, er streichelte sie, sie ließ es geschehen. Nein, das war nicht Nikion, die große Leidenschaftliche, der das höchste Ziel nicht hoch genug war. Das war nicht die Frau, die, es ist erst wenige Wochen her, nackt vor ihm gelegen war, ihren ungeheuren Jammer und ihre noch größere Hoffnung vor ihn hinschüttend. Das war eine fremde Frau: Berenike, Prinzessin von Judäa, Fürstin von Chalkis, von Kilikien, eine der ersten Damen des Reichs, klug, vernünftig und sehr fernab den heißen Träumen, an denen sie ihn hatte teilnehmen lassen.
Stattlich saß der Anwalt da, seine braunen, gewölbten Augen schauten von Berenike zu Agrippa. Er war ein Abkömmling jener spanischen Familien, die, zu Beginn der Monarchie in Rom eingewandert, sich hier schnell gesellschaftliches und literarisches Ansehen erworben hatten. Er hatte es in der kurzen Zeit geschafft: jene Reden, die er damals im Prozeß der Fürstin gehalten hatte, waren jetzt bis ins Letzte ausgefeilt, würdig, der Zeit als Beispiele großer Prosa zu dienen. Seine Tätigkeit, meinte er höflich, während er Berenike die
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