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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Sinn seines Lebens. Er war in erster Linie Lateiner, erst in zweiter Römer. Er war überzeugt, daß ein Mann und sein Stil identisch seien, daß Unanständigkeit sich notwendig auch im Stil auswirke und daß, wenn er sich in dieser Prüfung nicht würdig benehme, sein Latein leiden werde. Er beschloß, fair zu sein.
      Berenike, während Quintilian zweifelte und sich entschied, legte ihre Ansprüche und ihre Argumente dar. Sie sprach mit erstaunlicher Logik, ohne Affekt. Sie bedurfte der Logik und der Vernunft. Berenike, in der Gunst des Titus, die Kaiserin, hätte Konzessionen machen können. Berenike, von Titus verlassen, Fürstin von Chalkis und Kilikien, dachte nicht daran, auch nur auf ein Titelchen ihres Anspruchs zu verzichten. Sie stammte ab von großen Königen, die, eingekeilt zwischen den stärksten Mächten der Welt, immer wieder ein außerordentliches Maß von Staatsklugheit und rascher Entschlußkraft benötigt hatten. Sie war in Wahrheit Enkelin dieser Könige. Es ist ein neues Feld, auf dem sie sich zu bewähren hat, aber sie wird sich bewähren. Sie wird Titus zwingen, noch manchmal an sie zu denken. Sie wußte so gut wie Quintilian, daß die letzte Entscheidung beim Kaiser lag. Sie wird ihn zwingen, sein Gesicht zu zeigen.
      Quintilian war erstaunt über ihre Verstandesschärfe. Noch mehr staunte Agrippa. »Was ziehst du vor, Berenike«, sagte er, nachdem Quintilian gegangen war, er sagte jetzt Berenike, nicht mehr Nikion, »was ziehst du vor, daß Titus dir die Privilegien nimmt oder daß er sie dir läßt?«
      Berenike sah ihren Bruder ohne Lächeln an; sie wußte, woran er dachte. »Ich liebe einen guten Haß mehr«, sagte sie,
    »als eine gleichgültige Gerechtigkeit.«
      Wie dann Josef kam, ließ sie sich ein letztes Mal gehen. Dieser ihr Vetter hatte gesehen, wie ihre Freundschaft mit Titus begann, hatte selber eingegriffen und geholfen. Sie wollte, nun sie Rom und ihre Träume endgültig verließ, vor ihm, dem Geschichtsschreiber der Zeit, so dastehen, wie sie wünschte, daß die Späteren sie sähen. Aber als er nun da war, vergaß sie den Zweck, zu dem sie ihn gerufen hatte. Einmal hatte sie diesen Mann verhöhnt, weil er sich vor dem Römer gekrümmt hatte, sie hatte die sieben Schritte Abstand vor ihm gehalten wie vor einem Aussätzigen. Wieviel war sie von ihm unterschieden? Hatte sie nicht selber während dieses ganzen Jahrzehnts das gleiche getan wie er, nur mit weniger Erfolg? Die Gedanken und Gefühle ihrer schmerzhaften letzten Nacht brachen aus ihr hervor, und sie bekannte und bereute. »Es war falsch«, klagte sie sich an. »Alles, was wir getan haben, mein Bruder und ich, war falsch. Gewiß, der Krieg mußte schlimm enden, auch wenn wir geholfen hätten, und es war gut und richtig, daß wir abgemahnt haben. Aber es war falsch, daß wir dann, als der Aufstand trotzdem losbrach, uns nicht an die Spitze stellten. Wir hätten mit den andern umkommen sollen. Wir haben uns lumpig benommen. Auch Sie haben sich lumpig geführt, mein Vetter Josef. Aber Sie haben wenigstens Erfolg gehabt. Ich hatte nicht einmal Erfolg. Wenn wir im Aufstand mitgekämpft hätten«, fügte sie wild und verbissen hinzu, »dann hätten wir vielleicht Titus mit in unsern Untergang hineingerissen.«
      Josef hörte sie an. Mit ihren ersten Worten, bei ihrem Anblick schon, war alles, was er seit dem Tod des Vespasian für sich erträumt hatte, eingestürzt. Er war zu ihr gegangen, stolz, voll Hoffnung und Triumph, der große Schriftsteller zu der Kaiserin, die ihm hold war. Und nun war es nicht die Kaiserin, nun war es eine welkende, enttäuschte Frau, und er war mehr als sie. Denn es war, wie sie sagte: er hatte wenigstens seinen Erfolg.
      Sie indes klagte weiter: »Es gibt kein Verständnis zwischen uns und den andern. Sie haben ein kaltes Herz. Wir spüren, was der andere spürt, ihnen ist es versagt. Aber vielleicht auch ist das ein Geschenk, daß sie es nicht spüren können, und die Ursache ihres Erfolgs.«
      Noch am gleichen Tage teilte sie dem Kaiser auf beiläufige, liebenswürdige Art mit, dieses Mal bekomme ihr das Klima und der feiertägliche Trubel Roms ungewöhnlich schlecht. Sie fühle sich erschöpft und bitte den Kaiser, nachdem sie ihm ihre Glückwünsche zum Thronwechsel überbracht und ihm ihre Ehrerbietung bezeigt habe, wieder in die Einsamkeit ihrer judäischen Güter zurückkehren zu dürfen.
      Oh, wie war Titus betrübt, was fand er für scharmante und unbeteiligte

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