Die Söhne.
nach Rom, zum Palatin.
Titus stand in dem großen Portal. Berenike schritt die Stufen hinauf, den Bruder an ihrer Seite, lächelnd. Jetzt galt es, jetzt, sich zu bewähren. Für diese Minute hatte sie Jahre hindurch gelebt, die letzten Monate hindurch unsägliche Schmerzen ertragen. Die Stufen waren hoch. Schritt sie nicht zu schnell? Zu langsam? Sie spürte ihren Fuß, sie darf ihn nicht spüren, sie darf nicht daran denken.
Oben auf der Treppe stand der Mann, angetan mit den Insignien der Macht. Sie kannte sein Gesicht, das runde, offene Knabengesicht, das sie liebte, mit dem scharf dreieckig einzakkenden Kinn und den kurzen, in die Stirn frisierten Locken. Sie kannte jeden kleinsten Schatten darin, wußte, wie diese Augen hart, eng und trüb waren, wenn er zornig wurde, wie schnell und schlaff diese Lippe herabsinken konnte, war er enttäuscht. Nein, sie sinkt nicht herab. Die Augen freilich sind trüb. Aber wann je waren sie ganz klar? Sicher sind sie erfüllt von ihr, befriedigt. Und nun kommt er ihr ja auch entgegen, nun ist ihre Anstrengung zu Ende, sie hat gesiegt, sicher hat sie gesiegt, sicher hat ihr Leben Sinn gehabt. Die Pein, die sie auf sich genommen, die unsägliche Pein ihrer Seele und ihres Leibes, muß doch Sinn gehabt haben.
Ja, Titus kam ihr entgegen. Zuerst, wie der Brauch es erforderte, umarmte und küßte er den Agrippa, dann sie. Er sprach ein paar Scherzworte zu ihr, wie lang ihr Haar schon wieder geworden sei, er gab sich jungenhaft, froh. Flüsterte ihr Liebesnamen ins Ohr, in seinem mühsamen Aramäisch aus ihrer ersten Zeit: »Nikion, meine Wildtaube, mein Glanz.« Brachte sie in ihre Zimmer. Während die Deutschen klirrend Wache bezogen, fragte er, ob sie in einer Stunde von den Anstrengungen der Reise so weit erholt sein werde, daß er sie besuchen dürfe, und verabschiedete sich.
Berenike, während dieser Stunde, badete, ließ sich salben. Richtete all ihre Gedanken auf Toilette und Schmuck. Sie wollte nichts anderes denken. Sie prüfte dieses Schmuckstück, jenes, dann ließ sie den ganzen Schmuck wieder abnehmen und behielt eine einzige Perle. Sie verwandte ihr kostbarstes Parfüm, jenen Opobalsam, von dem jetzt nur mehr dieses letzte Fläschchen in der bewohnten Welt existierte.
Titus, während dieser Stunde, hörte Bericht. Man hielt ihm Vortrag über den Fortgang der Bauten, der Neuen Bäder vor allem, die der Vollendung nahe waren, über die Vorbereitungen der Spiele. Er hörte sich alles an, doch nur sein Ohr hörte, er sagte zerstreut: »Lassen wir es auf später. Später werde ich mich entscheiden.«
Was war das gewesen? Er hatte sich doch alle Jahre hindurch ohne Maß darauf gefreut, die Frau die Stufen hinaufschreiten zu sehen, zahllose Male hatte seine Phantasie die leeren Stufen geschmückt mit der heraufschreitenden Berenike, und nun war sie gekommen, und warum jetzt war alles so matt und leer? Wo war der Zauber hin, der von ihr ausging? War sie anders geworden? War er anders geworden? Es war wohl das Schicksal eines jeden Menschen, daß auch die schönste Erfüllung den Ungeheuern Raum nicht füllen kann, den die Erwartung aushöhlt. Oder vielleicht auch ist der Mensch ein zu schwaches Gefäß und kann eine übergroße Freude nicht aufnehmen. Oder vielleicht auch hat er zu lange warten müssen, und es ist wie mit ganz altem, edlem Wein, den man nicht mehr trinken kann.
Dann war die Stunde vorbei, und er war wieder mit Berenike zusammen. Es war die gleiche Berenike, es war die Frau, die er so wütend begehrt hatte, die ferne, östliche, überlegene, aus uraltem Königsblut, es war eine dunkle, erregende, leicht heisere Stimme, es waren ihre Augen. Aber es war doch nicht Berenike, der Glanz von früher war ein für allemal weg, es war eine schöne, gescheite, liebenswerte Frau; doch schöner, gescheiter, liebenswerter Frauen gab es viele. Er sagte sich vor, was alles ihm diese Frau bedeutet hatte, aber es nützte nichts. Seine Freude rann aus ihm, er fühlte eine ungeheure Leere und Zerschlagenheit.
Er aß mit beiden Geschwistern zu Abend, mühte sich, froh zu erscheinen. Agrippa war klug und heiter wie stets, Berenike war schön und strahlend, sie war die begehrteste Frau der Welt. Er aber begehrte sie nicht.
Er trank, um seine Begierde anzustacheln.
Wie er dann wieder allein mit ihr war, fand er denn auch verliebt stammelnde Worte wie früher, aber während er sie sprach, war ein quälendes Wissen in ihm, daß es
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