Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
quecksilberfreies Sushi, so was. Auch liegt sie im Untergeschoss und ist direkt von der U-Bahn aus zu erreichen, darum muss man nicht einmal nach draußen. Jedes Mal, wenn ich herkomme, stelle ich mir vor, ich würde in der Zukunft leben und die Luft wäre verstrahlt und wilde Bikerbanden auf ihren Biodieselkisten kontrollierten das Leben oben auf den verstaubten Straßen. Hey, genau wie bei der Singularität, stimmt’s?
Kat runzelt die Stirn. »Das ist eine Zukunftsvision aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Nach der Singularität werden wir in der Lage sein, solche Probleme zu lösen.« Sie bricht eine Falafel auseinander und bietet mir eine Hälfte an. »Und wir werden ewig leben.«
»Hör auf«, sage ich, »das ist doch bloß der alte Traum von der Unsterblichkeit –«
»Es ist der Traum von der Unsterblichkeit. Na und?« Sie hält inne, kaut. »Oder lass es mich anders sagen. Es klingt vielleicht komisch, zumal wir uns gerade erst kennengelernt haben. Aber ich weiß, dass ich schlau bin.«
Das stimmt definitiv –
»Und ich glaube, du bist es auch. Also, warum sollte alles zu Ende gehen? Wir könnten so viel erreichen, wenn wir nur mehr Zeit hätten. Verstehst du?«
Ich kaue auf meiner Falafel herum und nicke. Ein interes santes Mädchen. Kats unverblümte Direktheit lässt auf Heim beschulung schließen, aber sie ist außerdem absolut charmant. Ich schätze, es ist von Vorteil, dass sie wunderschön ist. Ich werfe einen schnellen Blick auf ihr T-Shirt. Wissen Sie, ich glaube, sie hat einen ganzen Haufen davon, und alle sehen genau gleich aus.
»Man muss Optimist sein, wenn man an die Singularität glaubt«, sagt sie, »und das ist schwerer, als es scheint. Hast du schon mal ›Maximale Glücksfantasie‹ gespielt?«
»Klingt nach einer japanischen Gameshow.«
Kat richtet sich leicht auf. »Okay, lass uns spielen. Zuerst musst du dir die Zukunft vorstellen. Die gute Zukunft. Keine Atombomben. Stell dir vor, du bist ein Science-Fiction- Autor.«
Okay: »Weltregierung … Krebs ist besiegt … Hoverboards.«
»Geh weiter. Wie sieht die gute Zukunft danach aus?«
»Raumschiffe. Partys auf dem Mars.«
»Noch weiter.«
» Star Trek. Teleportation. Jeder geht, wohin er will.«
»Noch weiter.«
Ich überlege einen Moment und erkenne dann: »Kann ich nicht.«
Kat schüttelt den Kopf. »Es ist total schwer. Und das sind, was, tausend Jahre? Was kommt danach? Was könnte danach überhaupt noch kommen? Es übersteigt die Fantasie. Aber es leuchtet auch ein, stimmt’s? Wir können uns wahrscheinlich nur Dinge vorstellen, die auf dem basieren, was wir schon wissen, und für das einunddreißigste Jahrhundert haben wir keine Analogien mehr parat.«
Ich versuche mühsam, mir einen normalen Tag im Jahr 3014 vorzustellen. Mir fällt nicht einmal eine halbwegs vernünftige Szene ein. Leben die Menschen in Gebäuden? Tragen sie Kleidung? Meine Fantasie kann dem geradezu physischen Kraftakt nicht standhalten. Gedankenfinger kratzen an den Stellen hinter den Nebelbänken, suchen nach spielerischen Ideen, finden nichts.
»Ich persönlich glaube, dass sich die große Veränderung in unseren Köpfen abspielen wird«, sagt Kat und tippt sich an eine Stelle über ihrem Ohr, das rosa und niedlich ist. »Ich glaube, wir werden andere Formen des Denkens finden, dank Computern. Du erwartest natürlich, dass ich so was sage« – ja –, »aber das hat es alles schon mal gegeben. Es ist ja nicht so, als hätten wir die gleichen Gehirne wie die Menschen vor tausend Jahren.«
Moment mal: »Doch, haben wir.«
»Wir haben die gleiche Hardware, aber nicht die gleiche Software. Wusstest du, dass es unsere Vorstellung von Privatsphäre erst seit Kurzem gibt? Und die von Liebe natürlich auch.«
Stimmt, die Vorstellung von Liebe ist mir sogar erst letzte Nacht gekommen. (Das sage ich aber nicht.)
»Jede große Idee dieser Art bedeutet ein Upgrade des Betriebssystems«, sagt sie und lächelt. Sie ist auf heimischem Terrain. »Dafür ist zum Teil die Literatur verantwortlich. Man sagt, Shakespeare hätte den inneren Monolog erfunden.«
Wenn ich mich mit einem echt auskenne, dann ist das der innere Monolog.
»Aber ich finde, die Literatur war lange genug am Ruder«, sagt sie, »und jetzt sind die Programmierer dran, das menschliche Betriebssystem upzugraden.«
Kein Zweifel, ich unterhalte mich hier mit einem Google-Mädchen. »Und, wie sieht das nächste Upgrade aus?«
»Es ist schon im Gange«, sagt sie. »Es gibt so
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