Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
irgendwie klappt, kann man jederzeit Gewürze in den Topf werfen oder sie auch wieder entfernen. Man kann zum Beispiel Salz hinzufügen, kosten, den Kopf schütteln und das Salz wieder herausnehmen. Man kann ein Brot backen, die perfekt geratene Kruste abtrennen und dann alles, worauf man gerade Lust hat, neu in den Teig packen. Es handelt sich dabei nicht einfach nur um einen linearen Prozess, der mit einem Erfolg oder (in meinem Fall meistens) einem frustrierenden Misserfolg endet. Stattdessen dreht man Schleifen, bringt Schnörkel an oder verziert das Ganze mit kleinen Krakeln. Man spielt.
Also füge ich ein bisschen Salz und ein wenig Butter hinzu und bringe gegen zwei Uhr früh den Prototyp mit der neuen Visualisierung zum Laufen. Sofort fällt mir etwas Merkwürdiges auf: Die Lichter laufen hintereinander her.
Auf meinem Bildschirm leiht sich zum Beispiel Tyndall ein Buch aus dem obersten Fach in Gang zwei. Dann, einen Monat später, fragt Lapin nach einem Band aus demselben Regalbrett. Fünf Wochen danach folgt Imbert – wieder exakt dasselbe Fach –, aber inzwischen hat Tyndall das Buch schon zurückgegeben und möchte etwas Neues aus dem unteren Regal in Gang eins haben. Er ist einen Schritt voraus.
Das Muster war mir nicht aufgefallen, weil es zeitlich und räumlich solche Lücken aufweist wie ein Musikstück, in dem drei Stunden zwischen den Noten liegen, die alle in verschiedenen Oktaven gespielt werden. Aber hier, auf meinem Bildschirm, komprimiert und beschleunigt, wird es offensichtlich. Sie spielen alle dasselbe Lied oder tanzen denselben Tanz oder – ja – lösen alle dasselbe Rätsel.
Das Glöckchen bimmelt. Es ist Imbert: klein und stämmig, mit seinem schwarzen Stoppelbart und der schief sitzenden Schiebermütze. Er stemmt sein aktuelles Buch hoch und wuchtet es auf den Tresen. Ich wühle mich schnell durch die Visualisierung, um seinen Platz innerhalb des Musters zu finden. Ein orangefarbenes Licht jagt über den Bildschirm, und bevor er ein Wort sagt, weiß ich, dass er mich um einen Band genau in der Mitte von Gang zwei bitten wird. Es ist –
»Prokhorov«, keucht Imbert. »Als Nächstes brauche ich Prokhorov.«
Auf halbem Weg die Leiter hinauf wird mir schwindelig. Was ist los? Diesmal mache ich keine waghalsigen Manöver; ich kann gerade noch das Gleichgewicht halten, während ich den schmalen, schwarz eingebundenen P ROKHOROV aus dem Regal ziehe.
Imbert zeigt mir seine Karte – 6 MXH 2 I – und nimmt sein Buch. Das Glöckchen klimpert, und ich bin wieder allein.
Ich vermerke die Transaktion im Logbuch und notiere Im berts Mütze und seinen Knoblauchatem. Und dann schreibe ich für einen zukünftigen Verkäufer und vielleicht auch, um mir zu beweisen, dass es wahr ist:
In der durchgehend geöffneten Buchhandlung Penumbra gehen merkwürdige Dinge vor sich.
MAXIMALE GLÜCKSFANTASIE
»… es heißt Singularity Singles«, sagt Kat Potente. Sie trägt dasselbe (das gleiche?) rot-gelbe BAM! -T-Shirt wie neulich, was bedeutet, dass sie entweder a) darin geschlafen hat, b) mehrere identische T-Shirts besitzt oder c) eine Comicfigur ist – alles verheißungsvolle Möglichkeiten.
Singularity Singles. Mal sehen. Ich weiß (dank Internet), dass Singularität jener hypothetische Punkt in der Zukunft ist, an dem die technische Wachstumskurve in die Vertikale übergeht und die Zivilisation sich einfach irgendwie rebootet. Computer werden schlauer als Menschen, also überlassen wir ihnen das Feld. Oder sie übernehmen es von sich aus …
Kat nickt. »Mehr oder weniger.«
»Aber Singularity Singles …?«
»Speeddating für Nerds«, sagt sie. »Das veranstalten sie bei Google einmal im Monat. Das Mann-Frau-Verhältnis ist richtig gut beziehungsweise richtig schlecht, je nachdem, wer du –«
»Du bist da hingegangen.«
» Genau . Ich hab da einen Typen kennengelernt, der Bots für einen Hedgefonds programmiert hat. Wir waren eine Zeit lang zusammen. Felsenklettern war total sein Ding. Er hatte tolle Schultern.«
Hmm.
»Aber ein grausames Herz.«
Wir sitzen im Gourmet Grotto, das zur glitzernden sechsstöckigen Shoppingmall von San Francisco gehört. Sie befindet sich in der Innenstadt, gleich neben der Straßenbahn-Endhaltestelle, aber ich glaube, den Touristen ist nicht klar, dass es eine Mall ist; es gibt keinen Parkplatz. Das Gourmet Grotto bildet die Feinkostabteilung, wahrscheinlich die beste der Welt: Salat mit Spinatblättern aus der Region, Schweinebauch-Tacos,
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