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Die Sonne war der ganze Himmel

Die Sonne war der ganze Himmel

Titel: Die Sonne war der ganze Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Powers
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der Barkeeper noch nicht eingesammelt hatte.
    »Entschuldigung. Ich dachte nur …« Ich war offenbar kurz weggetreten, denn ich merkte nicht, dass der Mann ging. Als nächstes sah ich, wie der Feudel in kleinen Kreisen über die Fliesen glitt, auf die ich gedeutet hatte. Dann verschwand der Mann durch die Halle, zog die schmutzig grauen Fransen hinter sich her.
    Wie der Tresen warfen auch die Fenster zur Startbahn unsere Spiegelbilder auf uns zurück, was vermutlich an dem seltsam gelben Licht lag, das den Flughafen erfüllte. Ich trank weiter.
    »Grade angekommen oder auf dem Weg wo hin?«, fragte der Barkeeper.
    »Grade angekommen.«
    »Woher?«
    »Irak.«
    »Musst du noch mal hin?«
    »Glaube nicht. Aber man weiß ja nie«, sagte ich.
    »Passt ihr dort drüben gut aufeinander auf?«
    »Klar. Wir tun unser Bestes.«
    »Große Scheiße, wenn du mich fragst.«
    »Was?«
    »Eine Schande, dass ihr dorthin müsst.«
    Ich prostete ihm zu. »Höre ich gern.«
    »Wir sollten diese Sandfresser mit ein paar Atombomben in die Steinzeit zurückbefördern.« Er wischte über den Tresen. Ich leerte das Bier, kramte weitere fünf Dollar hervor und bestellte noch eins. Er stellte es vor mich hin. »Die ganze Wüste zu Glas zusammenschmelzen«, sagte er.
    Ich schwieg.
    »Alles voller Wilder, wie man hört.«
    Ich sah zu ihm auf. Er lächelte mich an. »Genau, Mann. So in der Art.«
    Mein Flug war einer der letzten an diesem Abend. In einer Durchsage hieß es, dass das Flugzeug nach Richmond bereitgestellt werde. Die Scheine lagen immer noch auf dem Tresen. »Für die Biere«, sagte ich.
    Er zeigte auf eine gelbe Schleife, die zwischen dem großen, signierten Porträt eines Soapstars und dem verblichenen Zeitungsfoto eines Mannes hing, der einen gewaltigen Wels über die Motorhaube eines roten Ford-Pick-ups mit rostigem Kotflügel gelegt hatte.
    »Was hat das zu bedeuten?«
    »Geht auf mich.« Er lächelte. »Ist das Mindeste, was ich tun kann.«
    »Vergiss es. Ich will zahlen.« Ich hatte keine Lust, mich lächelnd zu bedanken. Ich hatte nur versucht, zu überleben, wollte nicht so tun, als wäre ich ein Held.
    Als er meine Hand schütteln wollte, gab ich ihm das Geld und ging.

    Nachdem alle Passagiere ihre Plätze eingenommen hatten, erklärte der Pilot über Lautsprecher, es sei ihm eine Ehre, einen amerikanischen Helden heimzufliegen. Scheiß drauf, dachte ich. Immerhin spendierte man mir vier Whiskey-Cola und etwas mehr Beinfreiheit. Später in der Nacht, wir flogen am schwarzen, sternenlosen Himmel über der Ostküste dahin, versank ich in einem trunkenen Schlaf, während weitere Flugzeuge mit anderen Soldaten abhoben, unterwegs zu High-School-Freunden und achtzehnjährigen Mädchen, zu nächtlichen Partys mitten auf Feldern, zu den Ufern von Flüssen und Teichen, an denen junge Männer stundenlang stumm auf und ab liefen, nachdem sie die sommersprossigen Schulter eben jener Mädchen berührt hatten, die Haut unter roten, blonden oder braunen Haaren gespürt und nicht gewusst hatten, was sie tun sollten, die gleichen Hände zum Gebet falteten, ohne zu ahnen, dass sie beteten – »Bitte, lieber Gott, lass nicht zu, dass die Welt mir wieder entgleitet« –, Lagerfeuer und Gelächter und die auf dem Feld im Kreis aufgestellten Autos hinter sich ließen, durch das Scheinwerferlicht liefen, das sich innerhalb des Kreises kreuzte, und in das Unterholz stolperten, wo sie spürten, wie die geballte Faust der Einsamkeit in ihre Brust griff, als wollte sie den dünnsten und zerbrechlichsten Knochen packen, den Gott je erschaffen hat. Ich träumte von den Holzdielen der Veranda meiner Mutter, die noch lange nach Sonnenuntergang warm waren, träumte, in der abendlichen Kühle auf diesen Dielen zu liegen und nur an das über den Teich hallende Quaken der Ochsenfrösche und das Zirpen der Zikaden zu denken. Ja, ich hoffte, nur von diesen Geräuschen zu träumen.
    Und dann war ich da, einfach so, saß im Raucherbereich, das Gesicht in den Händen, lenkte mich ab, indem ich die auf dem Beton klebenden Kaugummis zählte, und schließlich hörte ich ihr Auto. Ich sah nicht auf. Sie musste mir die Hände auf die Wangen legen, um mich auf sich aufmerksam zu machen.
    Sie legte ihre Hände auf meine Wangen, drückte mich fest, trat wieder zurück. »Oh, John«, sagte sie. Sie schloss ihre Arme fest um mich, zog mich an sich, streichelte meinen Rücken. Sie strich die Uniform auf meiner Brust glatt, legte ihre Hände wieder auf meine Wangen,

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