Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)
Ameisen und Termiten die Bühne betraten, weideten überall die pflanzenfressenden Dinosaurier Nacktsamer ab. Termiten fraßen die übrig gebliebene tote Vegetation. Ameisen gruben ihre Nester wahrscheinlich in Stämme von Nacktsamern, in die Bodenstreu und in den Humus des darunterliegenden Bodens. Sie durchsuchten den Boden nach Nahrung und erkletterten Farne und die Kronen der Bäume. Heute können Entomologen eine Vielzahl von Arten untersuchen, die im Harz von Metasequoia-Bäumen eingeschlossen wurden, eine der häufigsten Nadelholzarten im Mesozoikum. Einige Fossilien sind in diesem Material sehr gut erhalten und geben uns Einblick in anatomische Details, aus denen sich die frühen Stadien in der Evolution der Ameisen rekonstruieren lassen.
Mit Hilfe der Überreste vieler anderer Tier- und Pflanzenarten konnten wir in einem Forscherteam rekonstruieren, was dann geschah. Etwa 130 Millionen Jahre vor heute und mit einem Scheitelpunkt vor 100 Millionen Jahren kam es zu einer der radikalsten und bedeutendsten Veränderungen in der Geschichte des Lebens. Die Nacktsamer (Gymnospermae) wurden weitgehend durch Bedecktsamer (Angiospermae) ersetzt, die «Blütenpflanzen», die die Landvegetation heute deutlich dominieren. Mammutbäume und ihre Verwandten gaben den Weg frei für Magnolie, Buche und Ahorn sowie andere verbreitete Bäume, während Palmfarne und Farne ihre Dominanz den Gräsern und krautigen Bedecktsamern und Buschpflanzen der Bodenflora überließen.
Zwei evolutionäre Innovationen dieser Zeit machten die Angiospermae-Revolution möglich. Erstens erlaubte das Endosperm an den Samen (also das Fruchtfleisch, das wir essen) nicht nur ein Überleben unter ungünstigen Bedingungen, sondern auch eine Ausbreitung über größere Distanzen. Zweitens ermöglichten die Blüten und ihre attraktiven Farben und Düfte die Evolution ganzer Heere von Bienen, Wespen, Schwebfliegen, Nachtfaltern, Schmetterlingen, Vögeln, Fledermäusen und anderen spezialisierten Tieren, die den Pollen von der Blüte einer Pflanze zur Blüte anderer Pflanzen derselben Art transportieren. Mit dieser Ausrüstung breiteten sich die Blütenpflanzen weltweit (in geologischen Begriffen gerechnet) relativ schnell aus. Mit zunehmender Ausdehnung und Häufigkeit im Lauf von Millionen Jahren füllten sie die Nischen, die ihnen zur Verfügung standen, und schufen zugleich mit der Masse und der Komplexität ihrer Vegetation ganz neue Nischen. Heute gibt es auf der Erde über 250.000 Blütenpflanzenarten, unter anderem die sehr verbreiteten Roseaceae (Rosen und Verwandte), Fagaceae (Buchen) und Asteraceae (Korbblütler wie Sonnenblumen). Sie bilden die dichten Böschungen am Straßenrand, die Wiesen, Obstgärten, Kulturflächen und – bei Weitem das vielfältigste aller Ökosysteme – die tropischen Regenwälder.
Ameisen schwappten auf der Woge der Evolution von Blütenpflanzen mit. Der Grund für diese Koevolution liegt meiner Überzeugung nach darin, dass die Angiospermae-Wälder substanziell reicher und architektonisch komplizierter waren und damit mehr kleinen Tierarten einen günstigen Lebensraum boten. Unterholz und abgefallene Pflanzenstreu der alten Nacktsamer-Wälder, in denen die Ameisen ursprünglich entstanden waren, waren in ihrer Struktur relativ schlicht. Insekten und anderen Tieren standen demnach weniger Nischen zur Verfügung, und die Vielfalt von Insekten, Spinnen, Tausendfüßern und anderen Gliederfüßern in den Wäldern war proportional kleiner. Dieselbe relative Artenarmut finden wir noch heute in Nacktsamer-Beständen. Die Schichten von Bodenstreu und der Boden unter den Blütenpflanzen der neuen Wälder boten Gliederfüßern eine sehr viel komplexere Umwelt und damit auch den Ameisen, die sich von ihnen ernährten. Die Bodenstreu, in denen Ameisenkolonien vieler Arten ihre neuen Nester bauten, bot eine größere Vielfalt verrottender Zweige, Äste, Blattbüschel und Samenhülsen, in die Kammern und Gänge gegraben werden konnten. Außerdem gab es in der Bodenstreu der Angiospermae je nach Tiefe ein größeres Spektrum unterschiedlicher Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen. Deswegen stand auch eine größere Vielfalt von Gliederfüßern als Nahrung zur Verfügung. Insgesamt folgte daraus eine globale adaptive Radiation der Ameisen; mehr und mehr Ameisenarten konnten sich weltweit sowohl auf den Neststandort als auch auf die Nahrung, die sie nutzten, spezialisieren. Es gab immer mehr verschiedene Ameisenarten, weil
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