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Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Titel: Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward O. Wilson
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pennsylvanicus von der nördlichen Halbkugel. In den südamerikanischen Regenwäldern ist C. femoratus sehr zahlreich. Die gartenbauenden Exemplare, denen ich begegnete, ließen mich nicht einmal das Nest berühren. Wenn ich vor dem Wind mehr als eineinhalb Meter herankam, rochen mich die Nestbewohner. Die Arbeiterinnen schwärmten zu Hunderten aus, bildeten einen brodelnden Teppich auf dem Nest und fingen an, einen Schleier von Ameisensäure in meine Richtung zu versprühen. Blieb ich beharrlich stehen, so ließen sie sich auf nahe gelegenes Blattwerk fallen, um näher heranzukommen. Jeder, der einmal auf die Äste eines von C. femoratus bewohnten Baumes geklettert ist, braucht keine weiteren Erklärungen über die ökologische Dominanz der Ameisen.
    Einen Rivalen um die größte Aggressivität hat die Camponotus femoratus in den äquatorialafrikanischen und asiatischen Weberameisen der Gattung Oecophylla . Die Kolonien bauen Nester aus Blättern, die sie über lebendige Ketten aus Arbeiterinnen zusammenziehen und mit einem Gewebe aus Seide fixieren; diese erhalten sie in einzelnen Fäden von den madenartigen Larven der Kolonie. Eine reife Kolonie baut in den Kronen eines oder mehrerer Bäume Hunderte solche seidenen Pavillons. Jeder Eindringling in das Territorium einer Weberameise wird von Schwärmen furchtloser Verteidiger mit Bissen und Schleiern von Ameisensäure bedacht. Als Arbeiterinnen einer Kolonie, die ich an der Harvard University züchtete, einmal aus ihrem Plastikbehälter entkamen, trippelten einige auf meinen Schreibtisch und bedrohten mich mit geöffneten Mandibeln, ihre Hinterleibspitzen ragten hoch und konnten jeden Moment Ameisensäure ausspritzen. Im Freien ist ihre Aggressivität legendär. Auf den Salomon-Inseln hatten Scharfschützen der US-Marines im Zweiten Weltkrieg angeblich genauso viel Angst vor Ameisen wie vor den Japanern. Das ist natürlich eine Übertreibung, aber zugleich eine Hommage an die Insekten, die gemeinsam mit uns die Welt regieren.
    Mit den Jahren kristallisierte sich für mich allmählich ein Prinzip heraus, das für unser Verständnis vom evolutionären Ursprung der Ameisen und anderer sozialer Insekten von Bedeutung ist: Je komplizierter und aufwändiger ein Nest im Hinblick auf den Verbrauch von Energie und Zeit ist, desto aggressiver sind die Ameisen bei seiner Verteidigung. Dieses Konzept werde ich später mit dem Ursprung der Eusozialität selbst in Verbindung bringen.
    Etwa im selben Abschnitt der geologischen Zeit, in dem viele Ameisenarten in den Baumkronen ihre Partnerschaft mit Honigtau produzierenden Insekten perfektionierten, erweiterten andere ihre Lebensräume und Fressgewohnheiten in einer ganz anderen Richtung. Ihren Grundspeiseplan aus Beutetieren und Aas ergänzten sie durch Samen. Diese Innovation ließ die Zahl der Arten und die Dichte der Kolonien in den Waldbeständen der ursprünglichen Ameisenfaunen zunehmen. Zugleich konnten sich so viele Ameisensorten ins trockene Grasland und in Wüsten ausbreiten.
    Heute bauen viele der Ameisenarten, die Samen fressen, auch Kornkammern, um sie zu lagern. In begrenztem Ausmaß findet das in bewaldeten Gebieten statt, wurde aber bis weit ins 19. Jahrhundert weder dort noch irgendwo anders wahr genommen; dann begannen Naturforscher mit der Untersuchung von Ameisen in den trockeneren Regionen der Levante, in Indien und dem westlichen Nordamerika. Als sie die Erdnester der später so genannten Ernteameisen aufgruben, fanden sie Kammern voller Samen von den nahe stehenden Gräsern. Erst jetzt ergab der Spruch des Salomon einen Sinn: «Geh hin zur Ameise, du Fauler, sieh an ihr Tun und lerne von ihr! Wenn sie auch keinen Fürsten noch Hauptmann, noch Herrn hat, so bereitet sie doch ihr Brot im Sommer und sammelt ihre Speise in der Ernte.»[ 3 ]
    Bei einem Besuch des Jerusalemer Tempelbergs saß ich einmal in der Nähe eines Nests von Ernteameisen der Gattung Messor , einer der dort dominanten Ameisenarten. Ich sah zu, wie die Arbeiterinnen Samen durch ein Eingangsloch abwärts zu den unterirdischen Kornkammern trugen. Und ich bildete mir ein, dass dies wahrscheinlich dieselbe Art war, die schon Salomon kannte, und dass er vielleicht ganz hier in der Nähe gesessen und sie beobachtet hatte.
    Dreitausend Jahre später und sehr weit weg von Judäa wenden sich nun Wissenschaftler wegen ganz anderer Erkenntnisse den Ameisen und anderen sozialen Insekten zu. Obwohl diese kleinen Geschöpfe sich von uns in vielerlei

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