Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)
Hinsicht radikal unterscheiden, wirft ihre Herkunft und Geschichte ein Licht auch auf unsere eigene.
IV.
DIE KRÄFTE DER SOZIALEN EVOLUTION
14.
DAS WISSENSCHAFTLICHE DILEMMA DER SELTENHEIT
Die Eusozialität, bei der mehrere Generationen einer Art unter altruistischer Arbeitsteilung in Gruppen organisiert sind, war eine der ganz großen Innovationen in der Geschichte des Lebens. Sie führte zur Entstehung von Superorganismen, der nächsten Ebene der biologischen Komplexität oberhalb des Organismus. In ihren Auswirkungen ist sie vergleichbar mit dem Landgang luftatmender Wassertiere. Und in ihrer Bedeutung entspricht sie der Erfindung des aktiven Schlagflugs durch Insekten und Wirbeltiere.[ 1 ]
Jedoch stellte diese Leistung der Evolutionsbiologie ein Rätsel, das bisher noch nicht gelöst ist: nämlich ihre Seltenheit. Denn wenn eine glückliche Wespenpopulation die Ameisen hervorbringen und eine andere glückliche Population schabenartiger Holzfresser zu Termiten werden konnte, und wenn dann alle beide die Dominanz unter Land-Wirbellosen einnehmen konnten, warum kam es dann in der Geschichte des Lebens nicht häufiger zur Entstehung der Eusozialität? Und warum trat sie in der Geschichte des Lebens erst so spät auf?
Gelegenheiten scheint es in Hülle und Fülle gegeben zu haben. Bevor Ameisen, Termiten und soziale Bienen und Wespen auf der Erde lebten, gab es für die Insekten zwei massive, lang andauernde Phasen der Evolution. Die erste begann vor etwa 400 Millionen Jahren im Devon. Sie endete 150 Millionen Jahre später am Ende des Perm, als das größte Massenaussterben aller Zeiten die meisten Pflanzen- und Tierarten der Welt vernichtete. Das war zugleich das Ende des Paläozoikums – populär auch als Amphibienzeitalter bekannt. Es folgte das Mesozoikum oder Zeitalter der Reptilien, sowohl zu Land als auch zu Wasser.
14.1 Vom mittleren bis zum späten Paläozoikum, also vor 400 bis 250 Millionen Jahren, gediehen auf der Erde die verschiedensten Insekten. Ihre Vielfalt illustriert das Spektrum, das auf einem einzigen Palmfarn gefunden wurde, darunter Käfer, Schaben und andere ausgestorbene Gruppen. Wir wissen von keinem sozialen Insekt unter ihnen.
Das Paläozoikum war die Zeit der kohlebildenden Wälder, mit Palmfarnen und turmhohen Schuppenbäumen. Diese Wälder und die anderen umliegenden Landhabitate wimmelten von Insekten, deren Arten mindestens so vielfältig waren wie heute. Reichlich vorhanden waren alte Eintagsfliegen, Libellen, Käfer und Schaben. Diese bekannten Formen mischten sich mit heute ausgestorbenen Insekten, die nur die Experten kennen, die ihre Fossile studieren – Palaeodictyopterans, Protelytropterans, Megasecopterans, Diaphanopterodeans und andere mit ähnlich unaussprechlichen Namen.
Viele der Fossile in feinkörnigem Gestein sind in bemerkenswert gutem Zustand und jedenfalls so gut erhalten, dass wir die meisten ihrer äußerlichen anatomischen Details mit denen moderner Insekten vergleichen können. Aus Exemplaren, die aus aller Welt zusammengetragen wurden, konnten die Forscher die Lebenszyklen einiger Arten rekonstruieren und selbst auf ihre Ernährung schließen. Bis heute aber hat sich nicht eine Spur eines eusozialen Insekts gefunden.
14.2 In der riesigen Insektenvielfalt aus 400 Millionen Jahren und drei Erdzeitaltern (Paläozoikum, P; Mesozoikum, M; Känozoikum, K) kam es zur Entstehung eusozialer Insekten nur äußerst selten und, soweit bekannt, vor dem frühen Mesozoikum überhaupt nicht. Die Breite der Diagramme illustriert, wie sich mit der Zeit die Anzahl von Familien für jede Insektenordnung entwickelte.
Es folgte das große Massenaussterben, das das Perm beendete, und mit der Trias begann das Mesozoikum. Neunzig Prozent der Arten auf der Erde waren ausgelöscht. Was immer der Grund für dieses katastrophalste Ereignis aller Zeiten war – die meisten Experten vermuten den Einschlag eines berggroßen Meteoriten, andere argumentieren für erdgebundene Ereignisse etwa aufgrund der Plattentektonik oder bei den chemischen Vorgängen auf der Erde –, jedenfalls wären dabei beinahe sämtliche Pflanzen und Tiere vollständig zerstört worden. Tatsächlich vernichtet wurden die oben erwähnten taxonomischen Ordnungen mit den unaussprechlichen Namen, einige Sorten Käfer, Libellen und andere, weniger bekannte Gruppen blieben indes verschont und sind bis heute am Leben.
Die Insekten, die das Aussterben im ausgehenden Perm überlebten, breiteten sich (in
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