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Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Abbott
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prophetisch erwiesen, und Simon war in die Verlagswelt zurückgekehrt.
    Henry las den Brief noch einmal. Er war sich nicht mal sicher, ob es überhaupt sechsundzwanzig wichtige Dinge über Management zu sagen gab, und wenn, hatte er ganz gewiss nicht vor, das zu beweisen. Er hatte all die Bücher zur Geschäftswelt mit ihrem gewohnten Vokabular aus Kriegstugenden mit großem Argwohn gelesen. Im besten Falle nahmen sie die Durchschnittskarriere mit ihrer üblichen Mischung aus Talent, Dummheit und Glück und zwängten sie in das saubere Korsett nachträglicher Rationalisierung. Und schon war die Geschichte stets eine von unnachahmlicher Genialität. Im schlimmsten Fall war der Anteil von »Mensch, was bin ich gut!« so groß, dass diese Bücher eigentlich zu den Romanen zu zählen waren. Henry entschied, Simon einen freundlichen Brief zu schreiben und sich zu entschuldigen.
    Eine junge Frau war an seinen Tisch getreten. Henry blickte auf und wollte um die Rechnung bitten, als ihm aufging, dass sie keine Kellnerin war.
    »Tut mir leid, dass ich Sie störe. Ich bin Christine. Ich bin die Geschäftsführerin – darf ich mich setzen?«
    Instinktiv reichte ihr Henry die Hand. Sie fühlte sich kalt an.
    »Schauen Sie, es tut mir wirklich leid, aber ein Kunde hat sich über Sie beschwert. Er sagt, Sie hätten seine Freundin angestarrt – mehrmals, bei verschiedenen Gelegenheiten.«
    Henry spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg.
    »Stimmt das?«
    »Ja, nein … Eigentlich nicht. Wenn es sich um die Person handelt, von der ich glaube, dass sie es ist, dann habe ich sie tatsächlich letzte Woche mal zu lange angeschaut, ich war in Gedanken, und ich habe nur, verstehen Sie … das war unhöflich, zugegeben.«
    »Der Mann sagt, Sie hätten sie heute Morgen in den Spiegeln angestarrt.«
    »Das stimmt nicht. Ich habe sie im Spiegel gesehen, als ich hereingekommen bin, mehr nicht. Deshalb habe ich mich weit weg gesetzt.«
    Er blickte auf das Papiertischtuch und betrachtete eingehend dessen grobe Struktur.
    »Ihr Frühstück ist heute frei – aber, ich denke, es dürfte besser sein, wenn Sie in Zukunft woanders hingehen. Ich muss sie leider darum bitten.«
    »Das ist nicht fair.«
    »Ich habe Sie schon früher bemerkt. Leute anzustarren scheint eine Gewohnheit von Ihnen zu sein.«
    Henry stand auf und nahm den Mantel vom Haken. Er hatte den Schal in einen Ärmel gesteckt, deshalb kam er nicht mit der Hand hinein. Sie wollte ihm helfen, aber er schüttelte sie ab. »Ist schon in Ordnung, danke.« Er nahm seine Sachen vom Tisch und eilte hinaus, der Saum seines Mantels schleifte auf dem Boden, ein leerer Ärmel winkte dem Raum zu. An der Tür wurde er von einem Schwarm neuer Gäste aufgehalten. Er trat beiseite, und als er einen Blick zurück in den Raum warf, sah er das Pärchen, das ihn beobachtete; der Mann warf lachend den Kopf nach hinten. Da wusste Henry, woher er ihn kannte – die Kopfbewegung war eine eisige Rückblende. Es handelte sich um den Mann, der ihm zu Neujahr den Schädel gegen die Nase gerammt hatte.

    Am letzten Freitag im Januar kündigte Mrs Abraham.
    Henry hatte aufgehört, auswärts zu frühstücken, und war häufig noch im Bett gewesen, wenn sie zur Arbeit kam. Mrs Abraham war eine ordentliche Frau, und ihre Arbeitszeiten sahen Henrys vormittägliche Anwesenheit in Schlafzimmer, Bad und Küche nicht vor. Mehrmals war sie zu ihrer Nachmittagsstelle zu spät gekommen.
    »Um ehrlich zu sein, Mr Cage, es ist einfach nicht recht, wenn Sie so im Haus herumlungern.«
    Er hatte ihr versprochen, aus dem Haus zu sein, bevor sie kam, und bis zum späten Vormittag fortzubleiben – manchmal länger. Sie schien Bedenken zu haben, undbevor er sich versah, hatte er gesagt: »Ach, und im April bin ich in Amerika.«
    Mrs Abraham lächelte. Sie las regelmäßig die Post, die Henry so achtlos im Toastständer in der Küche ablegte, und hatte nur darauf gewartet, was wohl aus Nessas Einladung werden würde.
    »Na gut, dann versuchen wir es noch mal miteinander.«

7.
    Maude Singer hatte sechs Monate und drei Vorstellungsgespräche gebraucht, um den Job bei Henry Cage & Partners zu bekommen, und sie brauchte acht Wochen, um festzustellen, dass er nichts für sie war.
    Mit dreißig war sie die Älteste der Neulinge dieses Jahres, und das war auch der einzige Grund (obwohl sie das nicht wusste), warum sie genommen wurde. Henry hatte im Jahr zuvor darum gebeten, dass wenigstens einer im nächsten Schwung an Trainees schon mal

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