Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Abbott
Vom Netzwerk:
müssen nicht tanzen. Allerdings wäre es ganz hübsch, wenn du mich mal herumschieben würdest, einmal nur. Es wird dir schon keiner auf die Füße starren. Ich hoffe allerdings inständig, dass alle
mich
anstarren.«
    Nessa saß vorn an der Stuhlkante. Sie hatte irgendetwas mit ihrem Haar angestellt. Es war nach hinten gekämmt,sodass ihr Gesicht, das nicht mehr von einem schwarzen Bob umrahmt war, weniger blass wirkte. Sie trug ein grünes Seidenkleid, von der Farbe sonnenhungrigen Mooses. Das Kleid war hochgeschlossen und hatte lange Ärmel, und wenn sie ging, strich der Saum über den Boden. Sie hatte es am Vortag auf der Worth Avenue gekauft, und nach dieser Anstrengung war sie früh zu Bett gegangen. Das Kleid war ein Triumph. In den seidenen Stofffalten verborgen, fühlte sie sich wieder vollkommen, ja geradezu glamourös. Sie sah zu den Tänzern hinüber und hoffte inständig darauf, dass Henry ihren Arm nehmen würde.
    Henry beobachtete sie und deutete das Strahlen ihrer Augen falsch. Nessa hatte öffentlicher Zurschaustellung von Zuneigung immer mit Rührung beigewohnt, und Henry wusste, dass der Anblick der Paare auf der Tanzfläche sie erfreute. Wo er nur ältere Menschen beim Tanzen sah, erblickte Nessa dauerhafte Liebe, das Überleben von Romantik. Henry wusste, dass er die Macht besaß, sie glücklich zu machen. Er wusste, sie wollte eine öffentliche Bekräftigung ihres Zusammenseins, Partner bei mehr als nur bei einem Tanz. Dazu musste er nur ihre Hand halten, vierzig Schritte mit ihr bis zur Tanzfläche gehen und dort noch weitere hundert Schritte tun. Was war das Problem? Warum zögerte er? Er sah, wie sich ihr Knie unter der Seide ihres Kleides hob und senkte; ihr Fußwippen verriet den Wunsch zu tanzen. Selbst jetzt noch, fünf Minuten vor zwölf, brachte er es nicht über sich. Warum? Es war grausam und dumm. Wenn dieser Tanz vorüber war, würde er sie um den nächsten bitten.
    »Die Jungs haben mich ausgenommen, also bin ich rübergekommen. Meine Güte, Nessa – du siehst umwerfend aus, und was für ein Kleid!«
    Jack setzte sich nicht, sondern wartete darauf, dass die Musik aufhörte. Dann bot er Nessa seine Hand.
    Nessa stand auf und sah Henry an.
    »Ich hole uns noch Wein«, sagte er, als die beiden tanzen gingen.

24.
    Jack fuhr einen 6 2-er Impala Station Wagon, gefedert wie ein Bett und breit wie ein Boot. Mit ein wenig gutem Willen passten acht Personen auf die beiden Sitzbänke, und selbst dann hatte man immer noch einen halben Hektar Platz auf der Ladefläche. Jack hatte sich den Wagen gekauft, als er nach Florida kam. Ausgesucht hatte er ihn nicht seiner Zweckmäßigkeit, sondern seiner Symbolkraft wegen, der Bestätigung der Tatsache, dass er keinen Platz mehr auf der Überholspur beanspruchte. Nun verachtete er die BMWs, die er früher gefahren hatte. »Ich bin raus aus dem Rennen«, sagte er immer wieder. Im Laufe der Jahre war seinen Freunden allerdings klar geworden, dass er das Rennen nicht aufgegeben hatte, er hatte es nur neu definiert.
    Jetzt fuhr er beharrlich auf der Mittelspur; er gab nicht mehr schnell Gas, sondern war der selbst ernannte Apostel automobiler Charakterdarstellung. Alles, was nach 1970 gekommen war, hatte nur geringe Chancen, seine Zustimmungzu finden. Den größten Spott hatte er für Minivans übrig.
    »Entweder du hast jede Menge Sitze und keinen Platz fürs Gepäck, oder du hast Ladefläche, aber keine Sitze. Na toll! Diese Prachtkarre hier hatte beides – hat sie noch immer.«
    Sie waren unterwegs zum Miami Airport, um Tom, Jane und Hal abzuholen; nach einer Stunde Fahrt war Henry klar, dass Jack von ihm keinen Kommentar zu seinen Ausführungen erwartete.
    Wie auf Stichwort holte ein Chrysler Voyager neben ihnen auf der Überholspur auf und leuchtete mit der Lichthupe einen langsam fahrenden Ford vor sich an.
    »Siehst du, was ich meine? Das ist doch nur ein Lieferwagen in Sonntagskleidung. Kleb ein Schild an die Seite, und schon könnte er voller Mangelwäsche oder Kupferrohre sein. Wo ist die Eleganz geblieben?«
    Als der Chrysler mit seinen glatten Seiten auf die Mittelspur kam, nutzte Jack die Gelegenheit, die Chromstange auf dem Lenkrad zu drücken, bis der Wagen ein vorwurfsvolles Blöken von sich gab.
    »Ich liebe diesen Klang«, erklärte Jack. Wieder drückte er auf die Hupe, ohne sich darum zu scheren, dass das Geräusch auf taube Ohren stieß. Der Chrysler hatte bereits wieder auf die Überholspur gewechselt und zog davon.
    »Möchtest

Weitere Kostenlose Bücher